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Seminar "Pädagogik und Psychoanalyse" Thesenpapier zu "Freud, Anti-Pädagoge" von Catherine Millot
Die Pädagogik kann aus psychoanalytischen Erkenntnissen großen Nutzen ziehen. Aus Sicht der Psychoanalyse lassen sich allerdings zwei Thesen formulieren : 1. Nach den triebtheoretischen Erkenntnissen der Psychoanalyse erscheinen erzieherische Eingriffe in die Triebstruktur der Kinder ausgesprochen nutzlos. 2. Darüber hinaus haben erzieherische Eingriffe gegenüber den Interessen der psychoanalytischen Therapie geradezu schädliche Auswirkungen.
zu 1. Grenzen der Pädagogik aus Erkenntnissen der Psychoanalyse Zu Beginn seiner Arbeiten (1900-1910) hält Freud die Pädagogik dafür geeignet Neurosen prophylaktisch zu verhindern. Er nahm an, daß man durch die Aufklärung moralischer Mechanismen und eine gemäßigte, bewußte Vermittlung moralischer Maßstäbe an die Kinder, einer Verdrängung ihrer Triebe (Auslöser für Neurosen) entgegenwirken kann. Später jedoch erkannte Freud, daß schon in der Triebstruktur des Menschen die Anlage zur Neurose mitgegeben ist. D.h. eine Verdrängung ist notwendig. Die Annahme der Säugling sei ursprünglich in seiner Triebstruktur polymorph pervers und bisexuell, bedeutet, daß der Säugling zunächst an allen seinen Körperregionen, durch jedes erdenkliche Objekt und auf allen Wegen genußfähig ist. Schon die erste Fixierung auf die Mundschleimhaut bei der Nahrungsaufnahme bedeutet eine Kanalisierung und damit eine Einschränkung der triebenergetischen Vollströmung. Darüber hinaus, so Freud, soll die Verdrängung bereits phylogenetisch, gleichsam körperlich, in Form der Urverdrängung vollzogen sein.
zu 2. Folgenreiche Unterschiede des analytischen und des pädagogischen Settings a. Das analytische Setting ist für eine wissenschaftliche Erforschung des Unbewußten und später auch des Ichs entwickelt worden. Es zeichnet dadurch aus, daß hier das Arzt/Patient Verhältnis umgekehrt wurde. Nur der Patient ist Fachmann seiner Sache und nur seine Äußerungen gelten. Der Arzt hat keinen Wissensvorsprung. Der Pädagoge hat dagegen immer einen Erziehungsauftrag, wie immer er auch lautet. Neben der Erforschung des Kindes muß er in erster Linie auf es einwirken. b. Die Deutung in der Analyse trägt höchst individuell zur Aufklärung des Triebkonflikts des Patienten bei und ist nur dann als erfolgreich zu bezeichnen, wenn sie eine Verbesserung der Situation des Patienten hervorruft. Der Pädagoge dagegen ist auf verallgemeinerte Deutungen angewiesen, die er auf das Kind anwendet. Durch die Plastizität der Kinderseele und das unleugbare Autoritätsverhältnis ist der Pädagoge weit weniger vor Fehldeutungen gesichert. c. Das analytische Setting ist ein äußerst intimes Verhältnis zwischen Patient und Arzt, das keinen Dritten erträgt. Der Pädagoge dagegen arbeitet in einer Situation, in der er sich fast immer mit mehreren Kindern auseinandersetzt. Darüber hinaus ist seine Arbeit immer institutionell eingebettet. d. Bisher wurden nur die Differenzen der Settings deutlich gemacht, aber am Begriff der Übertragung stellt sich die diametral entgegengesetzte Arbeitsweise von Psychoanalyse und Pädagogik heraus. Jedes Individuum bildet ein Über-Ich aus, das aus der Identifizierung mit dem Vater im Ödipuskomplex gespeist wird. In der Übertragung wird die Auseinandersetzung mit dem Über-Ich veräußerlicht: Alle späteren Autoritäten des Kindes (Lehrer, Erzieher, Arzt) müssen den Platz des Über-Ichs einnehmen. Aus der libidinösen Komponente der Übertragung resultiert die Einflußmöglichkeít des Arztes und des Erziehers. Freud begründet hiermit jede Erscheinung von Suggestibilität. Während Freud die Analytiker davor warnt, von dieser Macht Gebrauch zu machen, ist gerade sie es, die für den Pädagogen die einzige Möglichkeit darstellt, seine Aufgabe zu erfüllen. In der analytischen Therapie mit Zwangsneurotikern geht es darum, das überstrenge Über-Ich abzumildern, um den verdrängten Trieben den Zugang zum Bewußtsein zu ermöglichen. Die Therapie gilt dann als abgeschlossen, wenn die Übertragungsphänomene abgetragen sind, das heißt, wenn der Patient nicht mehr genötigt ist, infantile Konflikte am Arzt auszuagieren. Dies entspricht dem psychoanalytischen Ideal der bewußten, ich-starken, erwachsenen Persönlichkeit. Der Pädagoge hat vor allem die Aufgabe, ein Über-Ich im Kind erst einmal aufzubauen. |
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