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Ausarbeitung zum Referat
Im Rahmen des Hauptseminars 12 511
Sozialpsychologische Grundlagen der Arbeit mit Gruppen bei: Cordula Jaletzke, WS 1995/96
Vorgelegt von Tatjana Lausch
Matrikelnummer: 2249715

   Thema

Zur Psychoanalyse von Gruppen
Erörterung der Methode W.R. Bions in der Psychoanalyse von Gruppen

1. Einleitung

2. Das Erkenntnisinteresse Bions an der Gruppe

3 .Die Grundannahmengruppe

4. Die Grundannahme der Abhängigkeit (Dependent-Group)

5. Die Grundannahme der Paarbildung (Pairing)

6. Die Grundannahme der Kampf- und Flucht-Gruppe

7. Zusammenfassung

8. Kritik an Bions Methode

9. Literatur

1. Einleitung

Die Lektüre von Bions Schriften ist ungemein anregend aber auch irritierend. Seine Methode läßt sich nicht in diese oder jene psychoanalytische Richtung einordnen, und doch verläßt Bion bei der Analyse von Gruppe nie die psychoanalytische Begrifflichkeit. Dies liegt nicht zuletzt in Bions ungewöhnlicher Biographie begründet:

Bion wurde 1897 in Indien geboren und schlug zunächst die Offizierslaufbahn in der britischen Armee ein. Er diente im Ersten Weltkrieg als Panzerkommandant. Anschließend zog er sich ins Privatleben zurück und studierte in den dreißiger und vierziger Jahren zunächst Medizin und später Psychoanalyse. Bion galt schon bald als anerkannter englischer Psychoanalytiker. Ab 1948 erhielt er den Auftrag vom wissenschaftlichen Beirat der Tavistock-Klinik in London die Leitung therapeutischer Gruppen zu übernehmen. Zu dieser Zeit war er schon bekannt für seine Untersuchungen, in denen er die Spannungen der Gruppen selbst zum Gruppenthema machen konnte. Diese Erfahrungen bei seiner Arbeit als Gruppenleiter stellen die Grundlage seiner in den siebziger Jahren auch in Deutsch erschienen Schrift "Erfahrungen in Gruppen" dar. Heute stellt diese kleine Schrift die Basislektüre für alle, die sich mit Gruppenphänomenen und der Erkenntnismöglichkeiten in Gruppen beschäftigen, dar.

Später widmete er sich der psychoanalytischen Schizophrenieforschung. In den siebziger Jahren übersiedelte er nach Kalifornien mit dem Versuch dort heimisch zu werden, kehrte jedoch kurz vor seinem Tod (1979) nach Großbritannien zurück, um eine psychoanalytische Gruppe von überzeugten Kleinianern in Oxford zu unterstützen.

Bion führte also ein bewegtes Leben, er reiste viel durch die Welt, immer auf der Suche nach einer Heimat. Er betrieb erst verhältnismäßig spät Psychoanalyse zu einer Zeit als er im Krieg in der Soldatengruppe bereits grundsätzliche Erfahrungen gemacht hatte. Dies mag der Grund dafür sein, daß Bions Darstellungen zwar das psychoanalytische Vokabular nicht überstrapaziert, aber bei der Lektüre immer ein gewisser Überschuß darüber hinaus wahrzunehmen ist.

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2. Das Erkenntnisinteresse Bions an der Gruppe

Bion interessierte sich nicht für die verschiedenen konkreten Inhalte, der sich eine Gruppe verschreiben könnte (ob Tanzgruppe oder politische Gruppe). Ihn interessierte wie effizient sie ein Vorhaben vorantreibt oder an welchen Stellen durch welche Mechanismen sie sich behindert. Da er die Spannungen der Gruppe selbst zum Gruppenthema macht, waren ihm die konkreten Themen einerlei, beziehungsweise konnte er die individuelle Pathologie der Gruppenmitglieder außer Acht lassen. Er erwartete keine Heilung der Patienten und auch nicht mit seinen Bemühungen freundlich aufgenommen zu werden. Ihn interessierte inwieweit eine Gruppe ihre eigene Struktur zum Thema machen konnte und mit welchen Mitteln sie dies bewerkstelligen konnte. Er achtete dabei vor allem auf die Mechanismen, mit denen die Gruppe ihre Ängste bindet.

Entsprechend gestaltete Bion das Setting der Gruppe. Er wählte in Vorgesprächen acht bis neun Personen aus, die seines Ermessens nach gut miteinander kooperieren können. Nach der Beschreibung einer ersten Gruppensitzung muß man voraussetzen, daß Bion in den Vorbesprechungen bis auf den Ort und die Zeit keine Angaben zur Art der Gruppe machte, um nicht besondere Erwartungen in den Teilnehmern zu nähren. Beginnend mit der ersten Sitzung sollte die festgelegte Zeit und der bestimmte Raum wie eine leergefegte Fläche allein die Reaktionen der Teilnehmer untereinander in dieser konkreten Zusammensetzung widerspiegeln. Bion selbst ließ das Verhalten und die Stimmung der Gruppe auf sich wirken und machte zurückhaltend davon Gebrauch die Situationen zu deuten. Seine Deutungen beziehen sich allein auf den aktuellen Zustand der Gruppe. Um präzise Deutungen geben zu können, dürfen diese nicht durch eigene Ängste beeinflußt werden. Von daher fühlt sich Bion für den Gruppenverlauf weder in Form noch im Inhalt verantwortlich. Er achtet weder darauf, den Zusammenhalt der Gruppe herzustellen, noch für das Wohlbefinden der Mitglieder zu sorgen. Frei von diesen Aufgaben, die im allgemeinen dem Gruppenleiter zukommen, sucht Bion die Entwicklung der Gruppe wahrzunehmen, was sie zusammenhält, ob sie einen Leiter benötigt, welche Ängste auftreten und wie sie gebunden werden.

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3. Die Grundannahmengruppe

Auch ohne eine Leiterfunktion auszuüben, konnte Bion in den Gruppen Bemühungen der Teilnehmer feststellen, mit denen sie der Gruppe eine bestimmte Struktur verliehen. Da die Situation der Gruppe nun doch nicht so voraussetzungslos war, wie es in Bions Bemühen stand, setzten die Teilnehmer am Arzt/Patienten Verhältnis, das nun mal bestand, an, um in die Gruppe ein bekanntes Verhältnis mit bekannten Verhaltensmustern einzuführen. Dies ermöglichte den Teilnehmern die neue und gefährliche Situation zu entschärfen.

Die Strukturen, die die Teilnehmer durch die Abarbeitung am Arzt/Patienten Verhältnis und an der Weigerung Bions, Gruppenleiterfunktionen zu übernehmen, schaffen konnten, hatten allesamt die Funktion die Gruppenleiteraufgaben zu ersetzen. Bion konnte hierfür drei verschiedene Strategien beziehungsweise Stimmungen feststellen, die er Grundannahmen (Basic-Assumption-Goup) nannte.

An anderer Stelle erläutert Bion eine weitere Aufgabe, die die Gruppe zu leisten hat, nämlich dieselbe überhaupt arbeitsfähig zu machen. Hierbei stellt er fest, daß jede noch so zwanglose Gruppe zusammenkommt, um etwas zu "tun" und Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit die Gruppe in die entsprechende Lage versetzt wird. Bion beschreibt diese Arbeit als eine psychische Aktivität, bei der die Individuen je nach ihren Fähigkeiten miteinander kooperieren. Da diese Aktivität sich auf eine Aufgabe richtet, steht sie in Beziehung zur Realität, ihre Methoden sind rational und daher, wenn auch in embryonaler Form, wissenschaftlich. Diesen wissenschaftlichen Aspekt der Gruppe, bei dem es auch auf die Erfahrungsfähigkeit der Teilnehmer ankommt, nennt er "Arbeitsgruppe".

Die Arbeitsgruppe als Aspekt der Gruppe beschreibt also diejenige psychische Aktivität, die die Gruppe zu neuen Erkenntnissen über sich selbst treibt. Diese psychische Aktivität wird allerdings allzuleicht behindert oder sogar zunichte gemacht durch Vorstellungen oder auch Hoffnungen der Gruppe, die man für eine Gruppenarbeit zunächst außerordentlich förderlich halten könnte oder zumindest nicht hinderlich wären.

An seinem kleinen Beispiel der Frage nach der Anrede innerhalb der Gruppe, macht Bion deutlich, wie die Lösung des einfach erscheinenden Problems der Anrede (Arbeitsgruppentätigkeit) durch die Hoffnung auf Heilung durch die Gruppe zum Scheitern verurteilt wurde. Es ist nicht nur die Hoffnung allein, sondern weil mit ihr immer bestimmte Erwartungen verknüpft sind, wird aus einer scheinbar harmlosen Hoffnung eine ernstzunehmende Behinderung. In diesem Fall scheiterte die Gruppe daran, daß Heilung nur in einer Atmosphäre zu erreichen sei, die ausschließlich durch angenehme Empfindungen getragen ist. Das Scheitern vergrößerte zudem die unangenehmen Empfindungen und die Teilnehmer suchten Hilfe beim Therapeuten, womit sie Bion wiederum in die Gruppenleiterposition drängten.

Die Arbeitsgruppenaktivität wird also durch andere psychische Aktivitäten behindert, abgelenkt aber manchmal auch gefördert, die sich durch mächtige emotionale Tendenzen auszeichnen. "Diese Aktivitäten, die auf den ersten Blick chaotisch wirken, bekommen einen gewissen Zusammenhang, wenn man annimmt, daß diese aus Grundannahmen erwachsen, die der ganzen Gruppe gemein sind". Mit diesem letzten Zusammenhang wären wir wieder beim bereits obengenannten Begriff Grundannahme. Während letzterer Zugang zu dem Begriff eher deskriptiv beschreibt wie eine Grundannahme in dem Gruppenverlauf wirksam wird und die Mächtigkeit der Grundannahmen unerklärt bleibt, macht der erstere Zugang deutlich woher die Grundannahmen ihre Mächtigkeit erhalten: die Ängste der Teilnehmer und deren Notwendigkeit diese zu bannen. Im Folgenden führt Bion dreierlei Grundannahmen aus.

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4. Die Grundannahme der Abhängigkeit (Dependent-Group)

Bion beschreibt die Grundannahme der Abhängigkeit an einer konkreten Gruppensituation. Es ist schwierig die kurze Zusammenfassung Bions erneut zusammengefaßt wiederzugeben. Aber an Bions Deutung in der Situation der Gruppe wird deutlich, daß die Abhängigkeit zum Beispiel nicht durch das Mitbringen und Anbieten von Schokolade gekennzeichnet werden kann, auch nicht durch das Zusammenspiel der bestimmten anderen Tätigkeiten und Einstellungen in der Gruppe entsteht, sondern durch die Bedeutung, die das Essen von Schokolade ebenso wie die anderen Tätigkeiten, für die Gruppe hat.

Bions Aufgabe ist es, die Bedeutungen in seinen eigenen emotionalen Reaktionen wahrzunehmen und der Gruppe zu spiegeln. Der Analytiker muß hierfür bestimmte Hinweise in seiner emotionalen Situation berücksichtigen, um die angemessenen Deutungen liefern zu können. Bion gibt zu, daß die Deutungen sich eher aus den subjektiven Reaktionen des Analytikers als aus der Dynamik der Gruppe heraus erklären lassen. Die Herkunft genau abgrenzen zu können bedeute für Bion allerdings eine materialreiche Untersuchung mehrerer Jahre, so daß er sich zur Zeit auf ein emotionales Signal verläßt. Aus der Theorie Melanie Kleins ist ihm das Verhältnis der "projektiven Identifikation" [ hätte näher ausgeführt werden müssen] bekannt, auf dessen Empfängerseite er sich in der Gruppe wähnt. Diese Position in dem Verhältnis bewirkt eine Gegenübertragung, das heißt im Analytiker werden bestimmte Empfindungen hervorgerufen, die ihm das Gefühl geben, dahin manipuliert [ Zu stark formuliert, höchstens für Suizidkranke zutreffend. Wichtig ist auch das aktive Moment des Analytikers Gegenübertragungen aufzunehmen, um unreife Ichfunktionen der Klienten wahrzunehmen und bewußt zu machen, ihnen Raum zu verschaffen] zu werden, in der Phantasie eines Individuums eine bestimmte Rolle zu spielen.

Die Einstellungen der Gruppe in der Abhängigkeit weisen Bions Person in allen Facetten als eine Gottheit aus : 1. An Bion werden die Fragen gerichtet, impliziert er wüßte die Antworten, ohne sich anzustrengen (der unbewegte Beweger); 2. Das Essen erhält die sakramentalische Bedeutung der göttlichen nährenden Substanz; 3. Das Nicht-Reden-Müssen der Teilnehmer weist auf die passive Haltung des Empfangenden hin; 4. Das Aussprechen der Existenz der Gruppengottheit bewirkt die Situation, "im Kreise tiefgläubiger Menschen eine Gotteslästerung begangen zu haben".

Die Gruppe besteht also auf die Abhängigkeit von einem Leiter. Es herrscht in ihr ein religiöses Gefühl; der Leiter wird wie eine Gottheit behandelt. Infragestellungen der Gruppengottheit werden als Sakrileg verurteilt. Steht von vornherein kein Leiter zur Verfügung, muß ein Leiter gekürt werden. Die Grundannahme der Abhängigkeit heißt also Abhängigkeit der Teilnehmer von einem Leiter. Die Gruppe gerät nicht zufällig in diese Position, sondern Schein in dieser regelrecht verharren zu wollen.

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5. Die Grundannahme der Paarbildung (Pairing)

Auch die zweite Grundannahme beschreibt wie bei der ersten den Grund, weshalb die Gruppe zusammengekommen ist. Die Einstellung der Gruppe nennt Bion die "Paarbildung". Bion nennt zwar zunächst ein gemischtgeschlechtliches Paar, das den Mittelpunkt der Gedanken der Teilnehmer einnimmt, er hält aber die Geschlechtszugehörigkeit nicht maßgebend für die Paarbildung. Vielmehr wichtig ist die eigentümlich hoffnungsvolle und gespannte Stimmung der Gruppe als Kennzeichen dieser Grundannahme, die sich deutlich von vorangegangenen langweiligen, frustrierenden unterscheiden.

Die Gruppe ist also von Gefühlen der Hoffnung auf eine bessere Zukunft getragen. Diese drücken sich auch im Alltagsleben vielfältig aus: wenn erst ein neuer Lebensabschnitt (Ehe, Jahreszeitenwechsel, eine Gemeinschaft neuer Art und ähnliches wie Sexualität und Fortpflanzung) eintritt, werde die gegenwärtig schlechtere Zeit vorbei sein. In der Vergangenheit wurde diese Einstellung im ungeborenen Messias oder in Utopien ausgedrückt.

Der Analytiker jedoch darf sich von diesen Sog nicht mitreißen lassen, er muß die unmittelbare Gegenwart betrachten und die Funktion dieser Hoffnung für die Gegenwart analysieren. "Die so in der Paarbildungsgruppe miteinander verknüpften Gefühle sind das diametrale Gegenteil von Haß, Destruktivität und Verzweiflung," die die Gruppe wirklich bewegen. Die optimistischen Gedanken sind also eine Rationalisierung mit dem Zweck haben eine zeitliche Verschiebung und einen Kompromiß mit den Schuldgefühlen zu erreichen.

Das pathologische an der Grundannahme wird daran deutlich, daß die Hoffnung nie eingelöst werden darf. Entweder wird die Utopie in unerreichbare Ferne gerückt oder Angehörige der Gruppe werden zu Spezialisten, die Utopie immer wieder zu zerstören. Bion vergleicht diese Situation mit der Bildung eines ungeborenen Messias, der, sollte er doch einmal liquidiert werden müssen, wieder neu erschaffen werden muß. Hiermit verweist Bion aus sehr archaische Anteile der menschlichen Geschichte beziehungsweise Religionsgeschichte, die sich in Gruppen wiederholen. Der Preis für die Bewußtmachung und Aufhebung dieser Mechanismen sind die zunächst nicht zu bewältigenden starken Gefühle der Destruktivität, des Hasses und der Verzweiflung. "In der therapeutischen Gruppe besteht das Problem darin, die Gruppe zur bewußten Wahrnehmung der Hoffnung und der damit zusammenhängenden Gefühle und gleichzeitig zum Standhaltenkönnen gegen sie zu befähigen" Unter der Analyse Bions entpuppt sich also ein scheinbar positiver Gruppenzusammenhalt als eine kollektive Abwehrform.

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6. Die Grundannhame der Kampf- und Flucht-Gruppe

Die dritte und letzte Form der Grundannahmengruppe findet sich zusammen, um gegen etwas zu kämpfen oder vor etwas zu fliehen. "Der anerkannte Führer einer Gruppe in diesem Zustand muß Ansprüche an die Gruppe stellen, die ihr die Möglichkeit zur Flucht oder zur Aggression bieten. Stellt er Ansprüche, bei denen das nicht der Fall ist, so wird er ignoriert." Diese Grundannahme besteht ihrerseits auf die Notwendigkeit eines Gruppenleiters und erinnert an die Möglichkeiten eines politischen Führers, der in diesem Fall nicht mehr als ein Gruppenleiter zu bezeichnen ist. Er erhält durch die Gruppe mühelos emotionale Unterstützung für seine Vorschläge, die entweder Haß auf Schwierigkeiten oder Mittel zu ihrer Umgehung darstellen. Die Gruppe scheint gut zusammenzuarbeiten und etwas erreichen zu wollen, aber der Analytiker in der therapeutischen Gruppe wird in seinen Bemühungen die Vorgänge, in der sich die Gruppe aufhält, aufzuhellen und bewußtzumachen, gerade durch diese Mobilisierung der Gruppe behindert. Das heißt, daß der Gruppenzusammenhang, der sich durch diese Grundannahme herstellt, ebenso eine kollektive Abwehrmaßnahme gegen die eigenen Schwierigkeiten darstellt, wie die übrigen Grundannahmen.

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7. Zusammenfassung

Die Gruppen sind nach Bions Erfahrung nicht unbedingt durchweg auf eine bestimmte Grundannahme festgelegt. Vielmehr können die Gruppen die Grundannahmen wechseln, manchmal sogar mehrmals in einer Sitzung. Der Wechsel bedeutet aber keinen Fortschritt der Gruppe, sondern stellt lediglich einen Wechsel der Abwehrstrategie der Gruppe dar.

Allen Gruppen gemeinsam ist die Existenz eines Führers. Er muß nicht Mitglied der Gruppe sein, aber auch nicht überhaupt ein Mensch, sondern kann auch eine Idee, die eigene Geschichte oder ein Gegenstand sein. Bion beschreibt in den verschiedenen Grundannahmen jeweils verschiedene Aspekte archaischer und religiöser Formen menschlicher Vergesellschaftung.

Bion zeigt, daß die Gruppe ausschließlich mit ihrem unsicheren Zusammenhalt beschäftigt ist und die Phänomene ein Ausdruck von Abwehr psychotischer Angst sind, die durch die Mobilisierung frühester primitiver Phantasien hervorgerufen werden.

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8. Kritik an Bions Methode

Peter Konrad Zech verfaßte 1985 eine eingehende Kritik an Bions Methode. Er erläutert, daß Bion das Verhalten der Gruppen als regressive Abwehr psychotischer Ängste beurteilt, weil er die Realbeziehungen zwischen sich als Gruppenleiter und den Gruppenmitgliedern vernachlässigt. Bion soll sich als einen Leiter verhalten, "...dessen Verhalten, sie [die Gruppe] ratlos läßt, dessen Aussagen ihr keinen Spielraum für Diskussionen, Auseinandersetzung und Klärung geben, sondern Unterwerfung oder Protest verlangen." Indem Bion in seinen Deutungen die Differenzen in den Erwartungen von Mitgliedern und Leitung zwar anspricht, aber nicht mit der Gruppe klärt, schafft er als Leiter keine Voraussetzungen für eine gedeihliche Gruppenarbeit. Bion honoriert die Fortschritte in der Kommunikation der Gruppe nicht, sondern verärgert die Gruppe noch mehr. Er übersieht die Kommunikationsstörungen zwischen ihm und der Gruppe. Durch seine Annahme, Gruppenzusammenhänge seien immer affektgeladen, erzeugt Bion Spannungen, wo keine sind und ermöglicht der Gruppe keine Atempause. So produziert Bion desolate Gruppenzustände, in denen die Mitglieder zu den Grundannahmen geradezu gezwungen werden. Die Grundannahmengruppe ist somit eine Reaktion auf einen verwirrenden Leiter.

Diese Kritikpunkte kennzeichnen Bion jedoch zunächst lediglich als schlechten Gruppenleiter, aber die Kritik von Zech richtet sich vor allem gegen Bions Methode wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. So behauptet Zech, daß Bion mit Hilfe der psychoanalytischen Deutung, die hinter einem vordergründigen Agieren immer den Wunsch und dessen Abwehr aufdecken will, seine Methode über die Wahrnehmung der Realität stellt.

Was Bion als "schlechten Gruppenleiter" betrifft, vermutet die Verfasserin, daß Bion schon in der Lage wäre einen "guten" Gruppenleiter anzugeben. Sein Projekt in der Travistok-Klinik war vielmehr dazu angelegt, zu erfahren, wie Gruppen sich ohne expliziten Leiter verhalten. Das Projekt beinhaltet konsequenter Weise, und das muß man ihm hoch anrechnen, es psychisch ausgehalten zu haben, daß Bion selbst keinerlei Konzessionen an Harmonie oder ähnlichem machen durfte.

Die Wissenschaftlichkeit der psychoanalytischen Methode hingegen war schon immer umstritten.[ Erstens war Freuds Problem die Anerkennung der Psychoanalyse als Naturwissenschaft, in der Geisteswissenschaft gab es immer Anerkennung. Zweitens würde dies Zechs Kritik bestätigen. Es fehlt die Kritik an Zech] Dies ist nicht zuletzt in der großen Intimität des Versuchsfeldes und in der hohen Individualität des Materials begründet. Aber trotz alledem hat die psychoanalytische Methode inzwischen allgemein anerkannte Ergebnisse geliefert.

Zechs Kritik geht also nach dem Ermessen der Verfasserin an Bions Arbeit vorbei und zeugt von einem gewissen Positivismus, der sich vielleicht in dem Schlagwort: Wenn die Gruppe sich Mühe gibt, gibt sie sich eben Mühe, wiedergeben läßt.

Darüber hinaus hatte Zech in unfairer Weise falsch zitiert: "Das ist ein berechtigter Einwand,...aber gerade deshalb will ich die Frage beiseite lassen...", um Bions Realitätsabkehr zu belegen. Dieses "deshalb" bezieht sich in Bions Text allerdings nicht auf "Einwand", wie Zech nahelegen will. Sondern es bezieht sich auf die von Zech ausgelassene Passage über die Notwendigkeit einer jahrelangen Untersuchung von mehreren verschiedenen Analytikern, um den subjektiven Anteil der Analytikern bei ihren Deutungen festzustellen.

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9. Literatur:

- Wilfred R. Bion, Erfahrungen in Gruppen, Frankfurt aM 1990

- Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, Frankfurt aM 1982

- Peter Konrad Zech, Analyse eines psychotherapeutischen Artefakts, in Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik Band 20, Göttingen 1985 [ Bei Zeitschriftenangaben immer den Umfang in Seitenzahlen angeben, also Seite 368-382]

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