|
|
|
|
|
||||||||||||||||||
Tatjana Lausch, Matr. Nr. 2249715
Über die Differenzierung und Verleugnung des Geschlechterverhältnisses
1. Einleitung Die Differenz der Geschlechter scheint in unserer Kultur eine Selbstverständlichkeit zu sein. Aber sie hat eine gesellschaftliche Geschichte, in der ihr unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen werden. Schon die griechische Mythologie überliefert uns eine Reihe von Kämpfen zwischen der männlichen und der weiblichen Ordnung in Form von Konflikten zwischen männlichen und weiblichen Gottheiten. Auch in den Religionen lassen sich die Niederschläge der Geschlechterspannung nachweisen. So ist im jüdischen Monotheismus für den Bund mit Gott die Geschlechterbeziehung als Opfer auszumachen, was in der symbolischen Kastration der Beschneidung und in der Tatsache, daß der Bund zwischen dem göttlichen Vater und dem Sohn geschlossen wurde, seinen Ausdruck findet. Das weibliche Prinzip wird ausgeschlossen bzw. negiert. Später in der europäischen Aufklärung finden wir andere Trennungen. Nämlich spätestens die auf die Aufklärung folgende Romantik ordnet dem männlichen Prinzip den Geist und dem weiblichen Prinzip die Natur zu. Diese Trennung und Zuweisungen der Geschlechter haben schwerwiegende Folgen für die Geschlechterbeziehung. Die Frau wird zum passiven, triebhaften Material, das der aktive, männliche Geist formt und bearbeitet. Diese Unterwerfungsformel steht in engem Verhältnis zur ursprünglichen Angst vor den Gewalten der Natur, als diese erst in kleinsten Ansätzen gezähmt war. Im Faschismus wird die Geschlechterspannung umgangen, indem die Vater-Sohn-Konkurrenz um die Frauen in der Urhorde so umgedeutet wurden, daß die Frauen als Kameradinnen ihres Geschlechts entledigt werden, um ebenso wie die Männer um die Liebe des Führers konkurrieren zu können. Die Geschlechterbeziehung wird also ständig in neue Formen gegossen. Dieser dauernde Kampf zwischen den Geschlechtern läßt erahnen, daß ihre Beziehung sich nicht dauerhaft versöhnen läßt, sondern vielmehr grundlegend mit Unterwerfung, Herrschaft und Angst besetzt ist. Die Beziehung der Geschlechter kann aber nur deshalb diese Entwicklung durchmachen, weil sie von jedem Individuum von neuem wahrgenommen, benannt und in die persönliche Psyche integriert werden muß. Dies ist ein herausragender Bestandteil der Sozialisation des Einzelnen zu einem gesellschaftlichen Wesen.
2. Ontogenetisches Auftreten der Geschlechterdifferenz und dessen Erledigung Freuds Schriften über die frühkindliche Sexualentwicklung geben uns Einblick in den Verlauf und die Schwierigkeiten bei der Gestaltung der Geschlechterdifferenz. Die Kindliche Sexualforschung ist von der existentiellen Frage nach der eigenen Herkunft geleitet, die sich in der Frage nach der Entstehung der Babys konkretisiert. Das Kind durchläuft von Geburt an verschiedene Phasen der sexuellen Betätigung. Entsprechende Ergebnisse hat die Sexualforschung des Kindes. Bis zum Ende der phallischen Phase soll die Geschlechterdifferenz keinen Einfluß auf die Sexualbetätigung haben und entsprechend ist sie noch nicht in die kindliche Theorie der eigenen Herkunft integriert. Erst die genitale Phase hat die Geschlechterdifferenz zum Thema. Im Alter von etwa vier bis fünf Jahren kann das Kind bereits sprechen und hat die Konfliktform "dieses (Mutter) und nicht jenes (Vater) zu wollen" zu verarbeiten. Die Aufgabe der Geschlechterdifferenz eine bestimmte Form zu verleihen fällt ontogenetisch in die Zeit, wo in massiver Weise auf das Kind disziplinierend eingewirkt wird. Jetzt wie in der Vergangenheit darf das Kind Dinge nicht tun oder haben und wird somit in seinen Wünschen beschnitten. In der genitalen Phase wird diese Beschneidung in der Kastration des Penisses zugespitzt und manifestiert. So ist es nicht nur die eine Drohung, den Penis abzuschneiden, die hier zum Ausdruck kommt, sondern auch die vielen Bedrohungen und Einschüchterungen der Vergangenheit, die in Kastrationsangst akkumuliert wurden(?). Mit der Wahrnehmung der Geschlechterdifferenz tritt das Kind in das ödipale Dreieck Vater/Mutter/Kind(Sohn). Die Konfliktsituation besteht darin, daß Kind die Mutter begehrt und der Vater dabei im Weg ist. Unter der Kastrationsdrohung und dem Inzestverbot muß das Kind der bürgerlichen Gesellschaft einen Kompromiß finden. Es versucht sein hochgeschätztes Sexualorgan und die Liebe zur Mutter zu retten, indem es sich mit der Autorität, Kraft und anderen Eigenschaften des Vaters identifiziert. Das heißt es nimmt die Gesetze denen es sich unterwirft in sich auf und wird zu dessen Träger. Hier setzt Freud die Bildung des Gewissens bzw. des Über-Ichs an und es wird deutlich, daß sich dieses der Theorie nach ausschließlich aus väterlichen Inhalten speist. Infolge dessen besteht die Dynamik der psychischen Instanzen einerseits aus der Unterwerfung des Sohnes durch den Vater und deren Bündnisse. Der mütterliche Einfluß bleibt bei der Gewissensbildung unberücksichtigt. Während des Ödipuskomplexes ist also die Frage nach der Gleschlechterspannung noch offen; mit dessen Zertrümmerung wird sie zuungunsten der weiblichen Seite entschieden. Freuds Utopie des autonomen Individuums und die Versöhnung der psychischen Instanzen in der Sublimierung ist jenseits der Geschlechterbeziehung formuliert. Er hat sich auf diese Weise der Geschlechterspannung patriarchalisch entledigt. Der Preis ist hoch und muß von jedem Individuum von neuem entrichtet werden. Zurück bleibt die männliche Angst vor dem weiblichen Geschlecht.
3. Männliche Angst vor dem weiblichen Geschlecht Karen Horney berichtet in ihrem Aufsatz "Die Angst vor dem weiblichen Geschlecht" von einer Vielzahl von künstlerischen Schöpfungen, die die männliche Sehnsucht nach dem Weiblichen darstellen und gleichzeitig die Angst von verschlungen zu werden mittransportieren. Immer wieder wird das Weib mit der Metapher des Wassers und des Soges belegt. Horney sieht in der Kunst und Literatur eine männliche Form diese Angst zu verobjektivieren und sich damit zu entlasten. Weibliche Formen der Angstverarbeitung, die das andere Geschlecht betreffen, führt sie nicht an. Statt dessen wendet sie sich der männlichen Homosexualität und der Perversion zu, deren gemeinsames Grundelement die Vermeidung oder Verleugnung des weiblichen Genitales ist. Freuds Begründung hierfür, so faßt Horney zusammen, ist der Abscheu vor dem Penismangel der Frau. Aber "nur die Angst ist ein genügend starkes Agens, um den Mann, den seine Libido doch zur Vereinigung mit der Frau drängt, von diesem Ziel fernzuhalten." Wie kann aber eine Angst einem Wesen gegenüber gelten, das die Strafe der Kastration bereits ereilt hat? Horney schließt daraus, daß den Mann zusätzlich oder ursprünglicher zur Kastrationsangst noch die Angst vor dem weiblichen Genitale selbst umtreibt. Sie geht noch weiter: Die Kastrationsangst als realere Angst vor dem Vater wird tendenziös in den Vordergrund geschoben, um die ursprünglichere, unheimlichere Angst vor der Mutter zu binden. So ist auch das beharrliche Suchen nach dem Penis bei der Frau, der Versuch, das weibliche Genitale zu verleugnen. Auf diesem Hintergrund scheint die von Freud angenommene ursprüngliche Unkenntnis der Vagina (bis zur Pubertät) selbst ein Resultat eines Verdrängungsprozesses zu sein. Der Eintritt des Kindes in das Spannungsfeld der Geschlechterbeziehung muß schon wesentlich früher als im Ödipuskomplex stattfinden, denn mit der kindlichen Verleugnung der Vagina wäre die Geschlechterbeziehung bereits entschieden oder zumindest vorstrukturiert. Horney schlägt zunächst jedoch einen anderen Weg ein. Sie bestreitet, daß der Junge gemäß der klassischen Psychoanalyse nach der oralen, analen und phallischen Phase in die genitale Phase eintreten kann, solange das weibliche Genital unentdeckt bleibt. Sie konnte vielmehr durch Beobachtungen von Kindern und aus Kinderanalysen feststellen, daß kleine Jungen sehr wohl in der Lange sind, als Pendant zu seinem Penis eine Art Vagina zu antizipieren und danach zu suchen. Allerdings haben die frühesten Triebverbote durch die Mutter weit härtere Folgen für den Sohn als für die Tochter. Das Mädchen kann sich in seiner libidinösen Zurückweisung mit der gleichzeitigen Unverletztheit seiner Person trösten (der Penis des Vaters ist viel zu groß für die kleine Vagina). Der Junge hingegen kann sich nicht in dieser Weise trösten. Er behält über die libidinöse Kränkung ein Gefühl von Unzulänglichkeit zurück (die Vagina der Mutter kann nicht von dem kleinen Penis ausgefüllt werden). Das männliche Selbstgefühl des Jungen ist von Anfang an in Gefahr, während das Mädchen schon aufgrund seines Daseins etwas ist. Im Weiteren erläutert Horney wie beim Jungen sich die sadistische Komponente zum Wunsch des Eindringens hinzugesellt und vermittels welcher Wege der Junge versuchen kann, sein Selbstgefühl wieder herzustellen. Daß dies erreicht wird, indem ein verzerrtes Bild von der Frau errichtet wird ist bemerkenswert, aber für diese Arbeit würde es zu weit führen. Festzuhalten ist jedoch, daß die kindliche Unkenntnis der Vagina, wie Freud sie postuliert, selbst schon eine Geschichte hat, die das Geschlechterverhältnis bestimmt, und nicht vor aller Wahrnehmung und Erfahrung liegt.
4. Die vaginalen Ängste des Mädchens Karen Horney widerspricht Freud auch hinsichtlich des Mädchens, in dessen Kenntnis von ihrer Vagina. In ihrem Aufsatz "Die Verleugnung der Vagina" von 1933 nimmt sie Freuds Postulat von der entscheidenen Bedeutung der frühesten kindlichen Eindrücke für das weitere Leben ernst. Infolge dessen kann sie Freuds Annahme, das Mädchen müßte sich erst sekundär auf das andere Geschlecht beziehen, bzw. würde bis zur phallischen Phase männlich gerichtete Impulse verfolgen, nicht teilen. Das Ergebnis wäre, daß erstens die Frau bei jeder neu einsetzenden Funktionsphase zunächst männlich gerichtete Impulse überwinden muß, zweitens weibliche Homosexualität wesentlich häufiger auftreten müßte als männliche, drittens dem Wunsch nach Mutterschaft müßte immer etwas Ersatzhaftes anhaften, viertens das geschlechtliche Ressentiment müßte alle Wesenszüge und Tätigkeiten der Frauen überschatten. Horney setzt ihre Vermutung dagegen, daß auch das Mädchen einen ursprünglichen Impuls zum anderen Geschlecht haben muß. Andererseits entdeckt Horney in ihren Beobachtungen von Kleinkindern, daß die Vagina nicht nur in den Phantasien und Träumen eine Rolle spielt, sondern, daß die Mädchen regelmäßig vaginale Organsensationen empfinden und eine Vaginalonanie fast häufiger vorkommt als eine klitorale. Sie nimmt ein instinktives Wissen um die Vorgänge des Eindringens in den weiblichen Körper an. Bei der Frage, warum sich das Mädchen von der Onanie abwendet, weicht sie von Freuds Hypothese ab. Während Freud diese Abwendung mit dem narzißtisch kränkenden Vergleich mit dem Penis des Jungen begründet, nimmt Horney eine speziell weibliche Angst an, die von der Onanie selbst herrührt. Die Ängste kleiden sich beispielshalber in die Form, sich bei onanistischen Spielen "ein Loch gemacht zu haben". Dies wird zum Ausdruck der weiblichen Verletzbarkeit, die durch die Wahrnehmung von Menstruationblut, Aborten und Geburten der Mutter verstärkt wird. Das Geschlechterverhältnis ist so Horney von zweierlei geschlechtsspezifischen Ängsten belastet: "In den letzten biologischen Gründen [ ist] die Angst des Mannes vor der Frau eine genital-narzißtische, die der Frau vor dem Mann eine körperliche". Diese weibliche Angst vor Zerstörung ihres Körpers ist auch dafür verantwortlich zu machen, daß das Mädchen seine Vagina nach der Abwendung von seiner Onanie verleugnen muß, bzw. das Unentdecktsein der Vagina bis zur Pubertät ein wenig erklären hilft. Mit der Annahme eines Instinktes in der Objektwahl und einen ursprünglichen Trieb zur Mutterschaft verdeckt Horney allerdings ihrerseits jede Möglichkeit die Genese der weiblichen Objektwahl zu erforschen und macht eine Analyse der gesellschaftlichen Bedeutung der Mutterschaft unmöglich.
5. Entwicklung der Geschlechterdifferenz bei Melanie Klein Melanie Kleins etwa zeitgleiche Beschreibung der ödipalen Ängste des kleinen Mädchens beleuchtet einen weiteren Aspekt der Geschlechterdifferenz in Bezug auf die Über-Ich-Bildung. Während sich das Mädchen enttäuscht von der versagenden (bösen) Mutterbrust abwendet, wendet es sich dem väterlichen Penis zu, um sich ihn einzuverleiben. Dieses Einverleiben deutet Melanie Klein allerdings nicht in erster Linie mit einem sich identifizierenden Einverleiben des Jungen am Ende des Ödipuskomplexes, sondern sie sieht darin ein spezifisch weibliche Form des Einverleibens, da der Penis als libidinöses Objekt aufgenommen wird und dieses zum Vorbild für das genitale, vaginale Begehren gemacht wird. Durch die Ambivalenz des Mädchens werden dem Penis auch böse, verfolgende Anteile zugeschrieben, die mit Hilfe des genitalen Koitus und der Geburt eines Kindes beruhigt werden sollen. Aus diesen Überlegungen kann auf ein Über-Ich als fester Bestandteil der Entwicklung des Mädchens zur Frau geschlossen werden, und das in erster Linie libidinös an die Psyche der Frau gebunden ist.
6. Schlußbetrachtung Anhand des vorangegangenen Materials wurde deutlich, daß jeder, d.h. auch gesunde Menschen (Männer wie Frauen), eine Phase durchmachen müssen, in der sie aus Angst das weibliche Geschlecht verleugnen müssen. Bei gesunden Menschen siegt irgendwann einmal die Wahrnehmung über den Glauben. Wie und wodurch dies geschieht wäre interessant zu erörtern. Ich nehme an, es handelt sich aus einer Mischung von zunehmender Reifung und Integrität des psychischen Apparates und einer Verringerung der von innen treibenden Libido, die die korrekte Wahrnehmung zuläßt. Nun gibt es Menschen, die diese Verleugnung zeitlebens aufrecht erhalten. Diese werden im psychischen Krankheitsbild der Perversionen zusammengefaßt. In der Vergangenheit sind vor allem männliche Perversionen analysiert und dokumentiert worden. Weibliche Perversionen erscheinen wesentlich seltener und häufig in Verbindung mit männlichen Seelenanteilen der Frauen. So könnte die These aufgestellt werden, daß es keine ausgesprochen weibliche Perversionen gibt. Abschließend wäre zu sagen, daß der Mythos vom König Ödipus, der Freud und seine Zeit als inzwischen historische Grundlage dienen mußte, heute aufgrund psychoanalytischer Erkenntnisse als eine Grundlage für eine Theorie der Geschlechterbeziehung nicht mehr haltbar ist. Die scheinbar ursprünglichen Prämissen des Ödipuskomplexes erwiesen sich ihrerseits als Ergebnisse einer Entwicklung und verweisen auf einen noch ursprünglicheren Mythos, der noch zu finden ist. Andererseits scheint das Geschlechterverhältnis damit eine neue Qualität zu erhalten, was hoffen läßt auf ein verändertes Kräfteverhältnis im Kampf der Geschlechter.
7. Literaturliste Anselm, Sigrun: Angst und Solidarität. Eine kritische Studie zur Psychoanalyse der Angst, Frankfurt am Main 1985 Beauvoir, Simone de: Das andere Geschlecht, Hamburg 1968 Chasseguet-Smirgel, Janine: Psychoanalyse der weiblichen Sexualität, Frankfurt am Main 1974 Freud, Sigmund: Fetischismus, Studienausgabe Band III, Frankfurt am Main 1982 Freud, Sigmund: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Studienausgabe Band V, Frankfurt am Main 1982 Freud, Sigmund: Über die weibliche Sexualität, Studienausgabe Band V, Frankfurt am Main 1982 Horney, Karen: Die Psychologie der Frau, Frankfurt am Main 1984 Wesel, Uwe: Der Mythos vom Matriarchat, Frankfurt am Main 1980
|
|
|
|
||||||||||||||||