diplomarbeit
links
diskussionsforum
inhalt
HOME
 

 

vorgelegt von Tatjana Lausch, Matr. Nr. 2249715 im Rahmen des Proseminars 12 548
"Adoleszenzkrise: Prozesse der Identitätsbildung und Identitätsstörung"
bei Margret Dörr WS 1992/1993

     

Gewalttätige Jugendliche zwischen Widerstand und Wiederholungszwang

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung   2

2. Adoleszenz und Neurose   3

3. Die Ideologie rechtsextremer Adoleszenter   4

4. Die Erfahrung des Ausgegrenztwerdens führt zum Wunsch selber auszugrenzen   5

5. Die Peergroup zwischen Entwicklungsraum und Elternersatz   8

6. Schluß   11

7. Literaturliste   12

Ende

1. Einleitung

Rechtsextremistische Gruppen finden unter Jugendlichen heute immer mehr Anhänger. Von daher ist es notwendig sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Folgende Fragen werden in der vorliegenden Arbeit behandelt: Wie sind die Bedingungen und psychischen Strukturen rechtsextremer Jugendlicher zu beschreiben, welche Hilfe finden sie in rechtsextremen Gleichaltrigengruppen und welche Rolle spielt die Gewalttätigkeit für die Bewältigung ihrer Konflikte.

Diesen Fragen soll anhand des Artikels von Annette Streeck-Fischer "Geil auf Gewalt" auf den Grund gegangen werden.

Die Autorin bedient sich soziolgischer Methoden, indem sie zunächst die Bedingungen der Jugendlichen in ihren Elternhäusern, ihre gesellschaftliche Stellung und ihre speziellen pubertären Probleme betrachtet. Darüber hinaus verknüpft sie diese mit der psychischen Struktur der Jugendlichen und verwendet dafür psychologische und psychoanalytische Erkenntnisse.

Die Psychoanalyse sowie die Psychologie haben Erkenntnisse über vielfältige Verarbeitungsstrukturen der menschlichen Psyche gewonnen, deren Ziele und Inhalte sich äußerst unterschiedlich, teilweise gegensätzlich darstellen. In "Geil auf Gewalt" werden zwei dieser Verarbeitungsstrukturen dargestellt: die Reaktionsbildung und der Wiederholungszwang. Beide Formen werden von Streeck-Fischer als Begründung der Gewalttätigkeit von Jugendlichen herangezogen. Eine Verarbeitungsform, die nicht auf Gewalt hinausläuft, scheint es für die beschriebenen Jugendlichen nicht zu geben.

Zunächst möchte ich den Text von Streeck-Fischer nach Aussagen über die Situation der Jugendlichen und deren Konflikte durchforsten. An gegebener Stelle möchte ich eigene Erörterungen und Kritikpunkte einfügen. Einige Analysen zur psychischen Struktur der Jugendlichen werden mit der klassischen Psychoanalyse Freuds verglichen. Am Schluß möchte ich eine Perspektive für eine Behandlung der Jugendlichen andeuten.

 Anfang/Ende

2. Adoleszenz und Neurose

Der Übergang vom Kind zum Erwachsenen wird zunächst durch die Ablösung von den realen Eltern und von den Elternbildern der Kindheit bestimmt. Die infantilen Elternbilder spielen insofern eine besondere Rolle, da sie vor allem den frühesten Phantasien des Kindes entspringen und von daher der Korrektur durch die Realität kaum zugänglich sind. Durch das Wiedererwachen der Sexualität, Veränderungen am Körper und Veränderungen der Bedingungen der Jugendlichen in der Pubertät treten die überwundengeglaubten infantilen Konflikte wieder auf und führen teilweise zu dramatisch zugespitzten Krisen. Es wird notwendig daß das Ich und das Über-Ich in bestimmten Bereichen umorganisiert wird. Streeck-Fischer nennt drei Bereiche, von denen es abhängt wie die Jugendlichen die krisenhafte Zeit überstehen und Orientierung zum Erwachsenenleben finden können: 1. die aktuelle Auseinandersetzung mit den Eltern, 2. Schule als Phantasie und Entwicklungsraum und 3. die Gleichaltrigengruppe (Peergroup), als Experimentierfeld mit der Doppelorientierung an Familie und Gesellschaft.

Annette Streeck-Fischers Erfahrungen mit rechtsradikalen, gewalttätigen Jugendlichen resultieren aus der klinischen Tätigkeit in einer therapeutischen Institution . Sie ist der Psychoanalyse verpflichtet und übt Psychotherapie aus. Folglich ist ihr Blickwinkel auf die Jugendlichen wie auf therapeutisch zu behandelnde Fälle (damit verdient sie schließlich ihre Brötchen). Psychische Strukturen und Bewältigungsmuster der Jugendlichen werden mit neurotischen Mechanismen verglichen, wenn nicht sogar identifiziert. Sie diagnostiziert den Zustand der rechtsextremen Jugendlichen als mehr oder minder neurotisch. Kriterium für eine Neurose ist dabei die innere Notwendigkeit der Jugendlichen unbewältigte prä- und ödipale Konflikte an anderen Personen außerhalb der Familie und in gesellschaftlichen Bedingungen wiederzufinden und zu wiederholen. Diesen Mechanismus bezeichnet die Psychoanalyse Freuds als Übertragung. Wenn häufig, zwanghaft Übertragungen von den Jugendlichen ausgebildet werden, liegt nach Streeck-Fischer eine Neurose vor. In der klassischen Psychoanalyse müssen allerdings für die Diagnose einer Neurose weitere Kriterien erfüllt sein. Bei Freuds Neurotikern handelte es sich, allgemein ausgedrückt, um Menschen mit einem schweren intrapsychischen Konflikt mit einem überstrengen Über-Ich, der eine Verdrängung notwendig machte. Die notwendige Wiederholung des Konflikts geht den Umweg über ein Symptom, das ohne eine Analyse nichts mit dem Konflikt zu tun haben scheint. Streeck-Fischer nimmt also eine Erweiterung des Begriffs der Neurose vor, indem sie auf die Kriterien des Intrapsychischen des Konflikts und die Ausbildung von Symptomen verzichtet.

Läßt man sich auf diese Erweiterung ein, so kann man Streeck-Fischers weiterer Argumentation folgen. Sie schränkt Eisslers These von der Pubertät als "zweiter Chance" ein. Nach Eissler soll es in der Adoleszenz möglich sein, durch die Wiederbelebung (Wiederholung) der infantilen Konflikte des Jugendlichen, eine Selbstheilung der neurotischen Charakterzüge herbeizuführen. Die infantilen Konflikte werden zu einem neuen Ausgang geführt, welcher den aktuellen Bedingungen und Fähigkeiten des Jugendlichen angemessen ist und zu seinem Erwachsenwerden beiträgt. Jede Wiederholung des neurotischen Konflikts, vor allem die unter den intensiven Bedingungen der Adoleszenz, birgt die Möglichkeit zur Lösung des Konflikts. Aber ebenso sind meist auch die Gründe und Bedingungen noch vorhanden, die den Konflikt ursprünglich zu einem neurotischen gemacht haben. Mit der Wiederkehr des Verdrängten reagieren die Abwehrmechanismen mit höchster Alarmbereitschaft. Es bedarf viel therapeutischer Mühe die Chance der Wiederholung zu nutzen. Die zentralen infantilen Konflikte aber werden sich aber in jedem Falle auf die Lebensentwürfe der Jugendlichen auswirken, mit denen sie im Phantasie- und Handlungsspielraum experimentieren, um eine sexuelle, berufliche und soziale Identität zu finden versuchen.

 Anfang/Ende

3. Die Ideologie rechtsextremer Adoleszenter

Streeck-Fischer hat zunächst zwei rechtsextreme Einstellungen bei den Jugendlichen festgestellt. Als erstes gibt sie die Ideologie der angeborenen Ungleichheit der Menschen an, die verbunden mit einer völkischen Selbstüberschätzung das Recht des Stärkeren betont. Diese Jugendlichen grenzen autoritär jedes Anderssein aus und wollen es beseitigen. Zweitens gilt den Jugendlichen Gewalt als zentrales Regulationsprinzip für gesellschaftliche Konflikte. Demokratischen Idealen und rationalen Diskursen scheinen sie nicht zugänglich zu sein. Die Jugendlichen reagieren seismographisch auf Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs. Indem gesellschaftliche Mißstände, wie Mißbrauch und Vergewaltigung von Kindern und Frauen zunehmend diskutiert werden, weil tragende Ideologien verlorengegangen sind, werden gerade sozial unsicher lebende Menschen ihrer Hoffnungen beraubt. Meines Erachtens verfolgen die rechtsextremen Jugendlichen einen rationalen Diskurs. Im psychoanalytischen Sinne findet eine Rationalisierung der alltäglichen Konflikte statt. Die Rationalisierung ist nicht allein durch Benennung von humanen Alternativen aus dem Weg zu räumen, sondern muß wie ein Symptom analysiert und behandelt werden. Wir stehen nicht vor einem irrationalen Andersartigen, an dem wir als Pädagoge oder Therapeut nicht ansetzen könnten, sondern vor einer in sich begründeten und gesellschaftlich produzierten psychischen Struktur.

Auf eine bedeutende Ungereimtheit in der Argumentation Streeck-Fischers möchte ich hinweisen. Einerseits beanspruchen die Jugendlichen die Stärkeren zu sein, um daraus ein Recht abzuleiten, obwohl sie ganz offensichtlich zu dem schwächeren Teil der Gesellschaft zählen. Dies kann man wohl voll und ganz als Reaktionsbildung oder sogar als "Identifikation mit dem Aggressor" bezeichnen. Andererseits ist die Reaktion der Jugendlichen auf die gesellschaftlichen Mißstände eine wiederholende. Die Jugendlichen wiederholen mit ihrer Gewaltanwendung die eigene erlittene Mißhandlung. Auch hier ist die Übertragung als Identifizierung mit dem Aggressor näher zu bestimmen. Aus dem Opfer wird ein Täter. Aber weshalb wird keine Reaktionsbildung entwickelt, die durch die erlittene Gewalt eine völlige Abkehr von Gewalttätigkeit bewirkt ? Dieser Widerspruch entsteht, weil die Begründung der Gewalttätigkeit an der Oberfläche verblieben ist. Die entgegengesetzten psychischen Reaktionsmuster von Reaktionsbildung und Wiederholung dienen bei Streeck-Fischer immer wieder zur Begründung von Gewalt. Wir müssen uns aber fragen, warum eine Reaktionsbildung an einer bestimmten und nicht an einer anderen Stelle stattfindet, und warum sie in dieser oder jener Richtung ausgebildet wurde; warum auf Gewalt eine Wiederholung und keine Reaktionsbildung folgt.

 Anfang/Ende

4. Die Erfahrung des Ausgegrenztwerdens führt zum Wunsch selber auszugrenzen

Zwei Arten von Familiengeschichten führen dazu, daß sich die Jugendlichen verstärkt rechtsextremen Gruppen anschließen. Die erste Gruppe von Jugendlichen sind häufig unerwünschte Kinder aus zerbrochenen Beziehungen, die als Störenfriede bei Familienneugründungen fungieren und meistens auch in der Schule kaum Fuß fassen können. Sie sind aus der Familie ausgegrenzt und haben die Rolle des störenden Außenseiters zu übernehmen. Erst in der rechtsextremen Gruppe können sich die ausgegrenzten Jugendlichen zugehörig fühlen. Besonders dadurch, daß die Gruppe insgesamt eine gesellschaftliche Außenseiterposition einnimmt, eignet sich die rechtsextreme Gruppe für diese Jugendlichen. In dieser Gruppe wird der Kompromiß ermöglicht, sich als Ausgegrenzte zusammengehörig zu fühlen.

Die zweite Familiengeschichte von rechtsextremen Jugendlichen nimmt einen anderen Verlauf. Diese Jugendlichen sind vordergründig in ihre Familie integriert und wirken brav und angepaßt. Mit der Pubertät beginnen sie sich Glatzen zu schneiden, sich entsprechend zu kleiden und ein Doppelleben zu führen. Die Analyse dieses Doppellebens zeigt, daß die Jugendlichen ihre Anpassung nur um den Preis der Abspaltung eines Teils ihrer Persönlichkeit erwerben konnten. Die Genese dieser Spaltung reicht bis in die präverbale Mutter-Kind-Beziehung, die sich durch einen Mangel auszeichnet. Die Folge soll entweder eine mangelhafte Adaption an die äußere Realität sein oder eine vorzeitige Ich-Reifung und übereilte Realitätsanpassung sein. Letztere Kurzschlußanpassung läßt keinen Raum für Auseinandersetzung mit den Eltern zu, der einen Übergangsraum (Winnicott) zum Erwachsenwerden darstellen könnte. Die Folge sind extreme Streitszenen mit den Eltern, die ohne Kompromißmöglichkeiten (d.h. ohne daß im Streit etwas geklärt werden könnte) mit der gegenseitigen Abwertung enden. Die Jugendlichen wenden sich nur angewidert von den Eltern ab. Sie lösen sich nicht schrittweise von den Eltern, sondern sie werden gleichsam aus der Familie ausgestoßen. Nicht selten wünschen ihnen die Eltern den sozialen Tod, was häufig mit ihrer Zugehörigkeit zu einer rechtsextremen Gruppe begründet wird.

Die fehlende Auseinandersetzung mit den Eltern macht es den Jugendlichen unmöglich reale elterliche und gesellschaftliche Widersprüche zu akzeptieren und eine Zeitlang auszuhalten, bis bewußt die Mittel zu deren Beseitigung gefunden sind und eingesetzt werden können. Statt dessen wollen die Jugendlichen die sofortige Lösung des Problems, ihr einziges Mittel zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ist die "Bambule" auf der Straße. Diese Beschränktheit der Jugendlichen in ihren Möglichkeiten und der Plastizität ihrer Ich-Fähigkeiten wird von Psychoanalytikern als Kriterium für Neurosen genannt. Den Jugendlichen ist nicht abzusprechen, daß sie ihre Lebensverhältnisse verbessern wollen und dafür auch auf Anerkennung hoffen. Sie müssen aber einem Wiederholungszwang gehorchen, der aus ihren frühkindlichen Traumen verbunden mit aktuellen Traumen resultiert und nun nur unwiderruflicher die Jugendlichen zu Störenfrieden machen.

Aufgrund der Verunsicherungen durch die Umstellungen in der Adoleszenz sind die Jugendlichen darauf angewiesen, sich mit Hilfe von Accessoires und einem bestimmten Outfit zu orientieren. Diese vor allem an Äußerlichkeiten festgemachten Orientierungshilfen bilden einen Übergangsraum zu ihrer Erwachsenenidentität. So werden die Zuordnungen, wer Freund und wer Feind ist, in erster Linie am Äußeren des anderen festgemacht. Je deutlicher der Unterschied ist, desto einfacher ist die Orientierung und um so bevorzugter wird sie angewendet. Die Zuordnungen müssen immer eindeutig sein, Vermischungen (z.B. ein Sowohl-als-auch) können nicht geduldet werden. Die Unterscheidungen Ausländer/Deutsche oder Frau/Mann sind von daher, für die Art und Weise wie sich die Jugendlichen orientieren, besonders geeignet. Darüber hinaus haben die Accessoires (Glatzen, Bomberjacken, Stiefel) einen Symbolcharakter gegen ihre speziellen Pubertätsängste. Sie sind Fetische, die vor Minderwertigkeits-, Selbstauflösungs- und Kastrationsängsten schützen sollen, indem sie Männlichkeit, Härte und Brutalität betonen.

Eine besondere Angstquelle der männlichen Jugendlichen ist die Imago der infantilen, phallischen Mutter, die durch die homoerotische Struktur der Gruppe abgewehrt werden muß. Andererseits besteht auch die große Angst als Homosexuelle abgestempelt zu werden. Um diesen Vorwurf abzuwehren, oder von vornherein nicht aufkommen zu lassen, legen sich die Jugendlichen ein weiteres Accessoir zu, nämlich eine Frau. Frauen treten nicht in erster Linie als ein Liebesobjekt in Erscheinung, sondern werden eher zum Beruhigungsmittel in der Abwehr von Ängsten degradiert. Daß die männlichen Jugendlichen dieses distanzierte, verächtliche Verhältnis zu ihren Frauen entwickeln müssen, ist andererseits auch durch das archaische Bild von Frauen angelegt, das schon im Mutterbild angedeutet wurde. Die Analyse zeigt häufig, daß frühe, böse, verfolgende Selbstobjektanteile an den Frauen sowie an allem Fremden und Andersartigen festgemacht werden. So kann man behaupten, daß die dem Fremden zugewiesenen Eigenschaften ursprünglich eigene, projezierte Aggressionen sind. Das Verhältnis zu Fremden und Frauen ist allein durch Macht, Verteidigung und eine existentielle Bedrohung geprägt. Das gewalttätige Handeln gegen die verfolgenden Objekte wird auf anal-sadistischen Niveau sexualisiert. Weshalb Gewalttätigkeit gerade mit dem neurotischen Konflikt mit der Mutter, oder genauer ausgedrückt mit dem Mutterbild (und von daher hoffnungsloser für eine erträgliche Lösung), in Verbindung gebracht wird, bleibt leider offen. Eine Spur ist allein gelegt durch den Hinweis auf das anal-sadistische Niveau, auf das die Auseinandersetzung verlegt wird. Jedes Kind muß eine anal-sadistische Phase durchmachen, in der es seine Konflikte durch Abtrennung, Isolierung, Trotz usw. bewältigen lernt. Diese Phase wird in der psychischen Genese sehr früh angelegt, zu einer Zeit da die Mutter vom Kind noch omnipotent und übermächtig wahrgenommen wurde. Die Auseinandersetzungsform sowie das Objekt sind auf der Ebene der Analyse gleich geblieben. Geändert hat sich nur, daß aus dem hilflosen Säugling ein kräftiger Jugendlicher geworden ist, der sich in der Handhabung verschiedenster Waffen geübt hat.

 Anfang/Ende

5. Die Peergroup zwischen Entwicklungsraum und Elternersatz

Die Peergroup, wie schon oben angedeutet wurde, ist das Experimentierfeld der Jugendlichen und damit eine Brücke zwischen Familie, also der eigenen Kindheit, und der Gesellschaft. Die Jugendlichen sind nicht ein für allemal auf eine bestimmte Gruppe oder Art von Gruppen festgelegt. In der sogenannten passageren Identifikation, die den Ablösungsprozeß von den Eltern erleichtert, ist es ihnen möglich von rechten zu linken Gruppen und umgekehrt zu wechseln. An dieser Stelle wäre eine Studie von Interesse, die die verschiedenen Gruppen, nach der Art ihrer Anziehungskraft und ihren Möglichkeiten die Triebstruktur der Jugendlichen unterzubringen, differenziert darstellen könnte. Hiermit könnte man vielleicht beschreiben, warum gerade rechte Gruppen einen regen Zulauf haben. Aus der passageren Identifikation kann unter Umständen eine bleibende werden. Diese Umstände werden von Streeck-Fischer nicht näher ausgeführt.

Streeck-Fischer benennt für die Gruppe vor allem zwei Dinge, die für die weitere Entwicklung der Jugendlichen bestimmend sein sollen.

1. Die Entwicklungsmöglichkeit wird zunächst einmal bestimmt durch die Frage inwieweit die Gruppe es ermöglicht, daß sich die Jugendlichen doppelt sowohl an die Familie als auch an die Gruppe orientieren können. Diese interessante These wird leider nicht weiter positiv entwickelt, so daß ich einige eigene Überlegungen einfügen möchte. Wie könnte diese Doppelorientierung aussehen? a. Die Jugendlichen stehen nicht gänzlich ablehnend und herabsetzend der Familie gegenüber und erkennen an sich selbst familiale Verhaltensstrukturen. So sind sie im gewissen Maße an der Familie orientiert. Sie begegnen den eigenen Strukturen sowie denen der Familie kritisch, aber nicht in solchem Maße ablehnend, daß sie sich nicht damit beschäftigen könnten. b. Die Jugendlichen orientieren sich zweitens an der Gruppe und können so ein Gegengewicht zur Familie entwickeln. Andererseits werden die Handlungsmuster in der Gruppe durch die aus den Familien kritisch übernommenen Strukturen beeinflußt. So sollen wechselseitig die Handlungsmuster der Gruppe sowie die der Mitglieder kritisch verändert werden.

Eine strikte Ablehnung der Eltern und der Familie führt dazu, daß keine Auseinandersetzung mit der eigenen Handlungsstruktur, die aus der Familie stammt, stattfindet. Sie bleibt unbewußt und wird lediglich ausagiert. Es findet also eine Wiederholung statt und keine Entwicklung von neuen besseren Handlungsmustern. Streeck-Fischer geht darüber hinaus. Werden die Beziehungen zur Familie und zu gesellschaftlichen Vorbildern abgebrochen, übernehmen die Gruppe und innerhalb dieser Gruppe andere Jugendliche mit Führungsfunktionen in der Regel eine Elternersatzfunktion. Die Gruppe wird sofort zur neuen Familie. Sie ist nun kein Übergangsraum mehr, weil keine Ablösung und keine Individuation stattfinden muß. Dies ist eine sehr kleinbürgerliche Darstellung der Entwicklungsmöglichkeiten, weil die tatsächlich unüberbrückbaren Konflikte bestimmter Jugendlicher (meist aus Arbeiter- bzw. Arbeitslosenfamilien) von vornherein nicht nur als entwicklungsgehemmend, sondern als neurotisierend postuliert werden. Die Jugendlichen unterer gesellschaftlicher Schichten haben sich an kleinbürgerlichen Konfliktidealen zu orientieren.

2. Die zweite Bedingung für eine Gruppe entwicklungsfördernd auf die Jugendlichen zu wirken, sind die Bewältigungsformen, die die Gruppe anbietet. Streeck-Fischer äußert sich nur zu einer Form der Bewältigung von Konflikten, nämlich zur Gewalttätigkeit. Sie ist zugleich die negativste Form, da sie keine Erfolgschancen bietet, Konflikte zu überwinden. Die Aktionsszene der Skinheads sucht offen die Gewalttätigkeit, um die eigene Ohnmacht, Lähmung und innere Leere zu überwinden. Die Jugendlichen erwarten dadurch, daß ihnen Respekt, Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil wird. Die Gewalttätigkeit dient also nicht in erster Linie einen bestimmten Konflikt zu lösen, sondern dem eigenen guten Gefühl. Das Gefühl von Macht allein wird angestrebt.

Skinheads fühlen sich scheinbar von allen Seiten angegriffen. Ihre Ideologie, die sie als die Gemeinschaft der Ausgegrenzten beschreibt, gibt die Schuld an ihrer aussichtslosen Lage der rücksichtslosen Gesellschaft. Die Gewaltanwendung bedeutet eine Identifizierung mit einem omnipotenten Angreifer, die als Mittel gegen die eigene narzißtische Entleerung dient. Mir ist keine Epoche bekannt, in der es so wichtig war ein gutes Selbstgefühl zu erlangen. In diesem Maße wurde wohl noch nie die eigene Opferposition betont und somit ausgebeutet.

Das immer bedrohte Selbstwertgefühl macht aber auch Individuationsprozesse unmöglich, da nur die rückhaltlose Unterordnung unter die Gruppenregeln ausreichenden Schutz vor Ausgrenzung und Entleerung bietet. Unter diesem Gruppendruck werden die Mitglieder in ihrer Persönlichkeitsstruktur auf ein Borderline-Niveau (Kernberg) gedrückt. Die Entwicklung von Eigenständigkeit, einer eigenen Identität und einer eigenen Realitätswahrnehmung wird aufgegeben.

Eine innere Kontinuität stellen die Jugendlichen nicht wie im klassischen Sinn auf dem Weg der Selbstreflexion her. Mit Hilfe einer Externalisierung von Konflikten, also der gewalttätigen Auseinandersetzung, mit den Eltern und der Umwelt gelangen sie allmählich zu einem Verständnis ihrer selbst. Eine zeitliche Kontinuität erlangen sie, indem sie in ihrem Agieren früheste omnipotente Identifikationsobjekte aufsuchen. Eine historische Kontinuität entwickeln sie, durch das Aufgreifen und Agieren von ins Unbewußte abgespaltenen (auch faschistoiden) Persönlichkeitsanteilen der Eltern. Das Auffinden und Aufgreifen abgespaltener Persönlichkeitsanteile ist zunächst sehr progressiv einzuschätzen. Aber die Jugendlichen müssen dem Wiederholungszwang der Generationen folgen, da diese Persönlichkeitsanteile unbewußt bleiben und lediglich ausagiert werden. Die Omnipotenzidentifikationen können nur insofern Entwicklungsfördernd für die Jugendlichen sein, wie sie vom Ich überbrückt werden können. Das Ich muß imstande sein, die Ansprüche dieser Phantasien mit den eigenen Fähigkeiten und den Bedingungen der Umwelt in eine Balance zu bringen. Streeck-Fischer behauptet, daß dies bei Skinheads nicht der Fall ist. Hier findet eine Wiederverschmelzung von realen und idealen Selbstobjekten statt. Die Gewaltaktionen ihrer Rettungsphantasien werden mit der Realität verwechselt. Da ich zu diesen Aussagen speziell zu der Struktur der Skinheads nichts weiter betragen kann, muß ich die Überlegungen an dieser Stelle abbrechen. Ich will aber mit einer allgemeinen Anmerkungen abschließen.

 Anfang/Ende

6. Schluß

Der Text von Streeck-Fischer ist ein Plädoyer dafür, daß gewalttätige Jugendliche Produkte ihrer Bedingungen sind. So sind es allgemeine gesellschaftliche Mißstände, die sich in Form der Jugendproblematik darstellen. Die Mißstände verortet Streeck-Fischer vor allem in den zerrütteten Familien und in der Aussichtslosigkeit auf gesellschaftlichen Aufstieg. Die Jugendlichen äußern ihre Widersprüche, aber sie bleiben allgemein bzw. wenden sich gegen Ersatzobjekte. Sie versuchen gegen die Mißstände anzukämpfen, aber ihr einziges Mittel ist die Gewalttätigkeit ihrer eigenen Körperkraft. Zusammenfassend kann man sagen es handelt sich um eine unbewußte Rebellion mit ungeeigneten Mitteln, die von daher zum Scheitern verurteilt ist.

Für die pädagogische Arbeit sehe ich die Aufgabe, den Jugendlichen andere, vor allem verbale, Auseinandersetzungsformen beizubringen und ihre Konflikte und Konfliktgegner zu benennen.

 Anfang/Ende

7. Literaturliste

Annette Streeck-Fischer, Geil auf Gewalt. Psychoanalytische Bemerkungen zu Adoleszenz und Rechtsextremismus, in: Psyche, August 1992

Anna Freud, Das Ich und die Abwehrmechanismen, Frankfurt a.M. 1987

Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Studienausgabe Band 1, Frankfurt a.M. 1982

ders., Zur Dynamik der Übertragung, Studienausgabe Ergänzungsband, Frankfurt a.M. 1982

ders., Hemmung, Symptom und Angst, Studienausgabe Band 6, Frankfurt a.M. 1982

ders., Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Studienausgabe Band 5, Frankfurt a.M. 1982

 Anfang

 

 
westalgarve.de gästebuch
inhalt
mail an mich
impressum
HOME

© 2000 tatjana lausch — design: kai lewendoski