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 vorgelegt von Tatjana Lausch Matr. Nr. 2249715
  im Rahmen des Hauptseminars 12 577
"Funktion von Gruppen in der Adoleszenz"
bei Rita Marx

SoSe 1994

Diskussion einiger Thesen zu gewalttätigen
Jugendlichen anhand empirischen Materials

 

1. Einleitung

2. Charakterisierung der beiden Interviews

3. Die Geschichte von Marc

4. Die Geschichte von Bernd

Ende

1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit möchte ich Thesen erörtern, die an dem Text von Annette Streek-Fischer "Geil auf Gewalt" und mit Hilfe von Texten aus der klassischen Psychoanalyse Freuds gewonnen wurden. Diese Thesen beruhen auf der Annahme, daß gewalttätige Jugendliche, wie jede Generation, ihre Bedingungen als auch die Gesellschaft verbessern wollen und auf Anerkennung hoffen, aber aufgrund ihrer Strukturen aus den Familien und deren Folgen in ihren Bemühungen zum scheitern verurteilt sind. Nach Streek-Fischer können diese Familien als neurotisch bezeichnet werden, weil die Jugendlichen darauf angewiesen sind unbewältigte Prä- und ödipale Konflikte außerhalb der Familie wiederzufinden und zu wiederholen. Andererseits tritt in der Regel auch eine offensichtlich entgegengesetzte Bewältigungsform von Konflikten in Erscheinung. Im Punkt Gewaltausübung liegt oft eine glatte Reaktionsbildung vor, nämlich die Identifizierung mit dem Aggressor. Die Jugendlichen agieren in der Kindheit erlittene Gewalttätigkeit nun aktiv an anderen aus. Es liegt wohl eine Wiederholung der Sache oder Tat bei vertauschten Rollen vor. Es ist zu fragen warum sich Wiederholung und Reaktionsbildung gerade so zueinander verhalten. Die Frage der Objektwahl für Gewaltanwendung hatte die Hausarbeit mit der Struktur der Konflikte in den Familien sowie der Angstabwehr und den Orientierungswünschen der Jugendlichen zu erklären versucht. Auf den oder dem Fremden und anderen werden verfolgende Selbstobjektanteile aus der Kindheit projiziert und es wird deutlich weshalb gerade Ausländer diese herausragende Funktion im Leben der Jugendlichen ausüben müssen.

Es wäre an dieser Stelle interessant zu fragen, ob gewalttätige Jugendliche tatsächlich aus Familien stammen, wie sie von Streek-Fischer charakterisiert werden. Zum einen sollen es Jugendliche sein, die unerwünscht aus zerbrochenen Ehen stammen und nun als Störenfriede in Familienneugründungen fungieren. Zum anderen als scheinbar in die Familie integrierte Jugendliche, die ihre Anpassung nur zum Preis einer Abspaltung eines Teils ihrer Persönlichkeit erreichen und die vorzeitige Ich-Reifung eine schrittweise und konflikthafte Loslösung von den Eltern unmöglich macht. In gegenseitiger Abwertung wenden sich die Jugendlichen angewidert von den Eltern ab. Bei beiden Entwicklungen ist die Folge ein Gefühl des Ausgegrenztseins und die Forderung nach Sofortlösungen für Probleme und Konfliktsituationen.

Das Outfit und die Accessoires der jugendlichen scheinen über die Möglichkeit der eindeutigen Orientierung und des Symbolcharakters hinaus eine wichtige Funktion innerhalb der Peergroups zu haben. So sind Bedingungen, unter denen z.B. das Scheren der Glatzen statt findet, es Wert einmal beschrieben zu werden.

Besonders wichtig scheint mir die Klärung der Bedürfnisse der Jugendlichen, die sie an die Peergroup herantragen, zu sein. Eine Beschreibung der Entstehung von Cliquen oder unter welchen Umständen ein Jugendlicher in eine Gruppe aufgenommen wurde, könnte Aufschluß über die Anziehungskraft geben.

An vielen Stellen mußte die Seminararbeit unbefriedigend abgebrochen werden, und nun will ich mit Hilfe zweier Interviews mit Skinheads diese Aspekte präzisieren. Die narrativen Interviews wurden 1993 von Rita Marx geführt: erstens mit einem 16jährigen Jugendlichen (ich nenne ihn im Folgenden Marc), der durch einige begannen Straftaten bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist; zweitens mit einem 20jährigen jungen Erwachsenen (im Folgenden Bernd genannt) in einer Strafvollzugsanstalt.

Die Aussagen der Interviewten dürfen in keinem Fall die theoretisch angestellten Überlegungen als repräsentativ bestätigend oder widerlegend gewertet werden, da die Interviews weder systematisch zufällig noch in ausreichender Anzahl ausgewählt wurden. Ich denke jedoch, daß sie qualitativ zu einigen Überlegungen anregen können.

Anfang/Ende

2. Charakterisierung der beiden Interviews

Die narrativen Interviews zeichnen sich aus, daß die Interviewten zunächst ohne thematische Vorgabe das für sie wichtigste in ihrem Leben erzählen sollten. Auf die Äußerungen wurden mit einem teils registrierenden teils zustimmenden /mhm/ reagiert, was die Interviewten bestärkt in ihren Gedanken fortzufahren. Es wurden lediglich gezielte Nachfragen gestellt, die sich vor allem auf das Verständnis des bereits berichteten bezogen. Andere Nachfragen bezogen sich auf bestimmte Erfahrungen und die Gefühle, die sie bei bereits angesprochenen Ereignissen hatten: "Wie war das..." ( Durch das Outfit angepöbelt worden; Erfahrungen mit Schwulen;. Erfahrungen in der DDR). Andererseits wurden bestimmte Standardfragen gestellt, die auch als solche gekennzeichnet wurden: a. wie entstand die Clique?; b. wie war das, als zum ersten Mal die Glatze geschoren wurde?; c. was ist die früheste Erinnerung?; d. Wie war das Verhältnis zu den Eltern?.

Der Interviewerin kommt es offenbar darauf an, die Gefühle und Wahrnehmungen der Interviewten ohne moralischen Druck berichten zu lassen. Sie paßt sich an die Sprache des Interviewten an. Es verbleiben genügend moralische Korrekturen und Einschränkungen während des Erzählens allein von Seiten des Jugendlichen.

Die Technik des narrativen Interviews sowie die Struktur der Interviewten führt zu schwer systematisierbaren Gesprächsprotokollen. Die einzelnen Themen werden nicht in der gleichen Reihenfolge und Ausgiebigkeit behandelt. Auch werden von ihnen Themen abgebrochen und an anderer Stelle wieder aufgenommen. Oftmals setzt der Interviewte zu einem Begründungszusammenhang an, unterbricht ihn aber leider. Man ahnt beim Lesen schon etwas von dem, was er sagen will, aber es wird nicht ausgesprochen, so daß der Leser enttäuscht zurückbleibt. Vielleicht ist dies eine Wiederholung dessen, was der Jugendliche selbst erlebt hatte, wenn er in der Vergangenheit Fragen gestellt hatte.

Im Folgenden möchte ich Marcs sowie Bernds Geschichte nachzeichnen, um das Material zu sammeln. Zunächst bedeutet dies ein Sortieren und Zusammenfassen der einzelnen Themen. Zum anderen wird die Zusammenfassung immer eine Übersetzung sein, die sich auf bestimmte Bedeutungen des Inhaltes beschränken muß. Zusammenhänge werden am Material hergestellt auch wenn sie nicht offensichtlich vom Interviewten geknüpft werden. Der Interviewte wird wörtlich genommen.

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3. Die Geschichte von Marc

Zur Zeit des Interviews ist Marc sechzehn Jahre alt, macht seinen Hauptschulabschluß im Rahmen einer Fortbildungsmaßnahme des Arbeitsamtes und ist derzeit offenbar integriert in das benachbarte Jugendzentrum. Als arbeitender fühlt er sich erwachsener. Er hat eine Freundin, die nicht weiter beschrieben wird, von der er sich nur erhofft, daß sie ihn unterstützen wird. In Zukunft will er eine Lehre machen und sich zusammenreißen, bzw. sich nicht mehr erwischen zu lassen und ein normales Leben führen, wie jeder andere Mensch auch, um etwas aufzubauen. Seine Vorstellung ist: in der Woche arbeiten, so daß er keine Zeit hat, etwas anzustellen; Freitags und Sonnabends in die Disco und Sonntags auf der faulen Haut liegen. (Mit Arbeit betäuben; sehr früh erwachsen; liebäugelt noch mit saufen und Scheiße bauen.)

Nach der Beziehung zu seinen Eltern befragt berichtet er, daß sie sich prima verstehen. Zwar wird rumgemeckert, wenn er besoffen nach Hause kommt, aber wenn er sich entschuldigt, ist alles wieder gut. In der Vergangenheit sei der Vater sehr streng und tagelang nachtragend gewesen. Wenn er Stubenarrest hatte, umging er es, in dem er nach der Schule sich gar nicht erst zu Hause meldete. Später ist er bei häuslichen Streitszenen öfter abgehauen und auch tagelang weggeblieben. Sein Umschlagspunkt, sich nicht mehr an die Verbote der Eltern zu halten, war begleitet von dem Gedanken "jetzt reicht es mir", "jetzt will ich auch mal meine Freiheit". Kam er wieder nach Hause, wiederholte sich das Spiel und er übernachtete wieder bei einem Freund, bis der Vater die Auseinandersetzung aufgab und ihn machen ließ, was er denkt. An anderer Stelle beschreibt Marc wie der Vater auf seine Anzeigen reagiert hatte: er hätte Theater gemacht und schon damals versucht ihn aus der Wohnung zu werfen, aber die vom Jugendamt bereitgestellten Wohnungen in Mitte oder im Westteil von Berlin mußte er ablehnen, weil es ihm zu gefährlich schien, dort mit einer Glatze herumzulaufen. Wie dieser Konflikt beigelegt werden konnte bleibt undeutlich. Marc blieb in der elterlichen Wohnung und sie hätten sich wieder "zusammengelebt".

In der Schule galt Marc als der Liebe, Nette, Schüchterne. Zu Hause war er der Böse. Er sagt er hätte sich zu Hause "hochgearbeitet", um auch draußen Krach machen zu können. Er muß sich beweisen, daß er in der Familie wie auch draußen als etwas gilt. Stark fühlt er sich, wenn er seinen großen Bruder mit unfairen Schlägen und Tritten zu Boden bringt. Er hat aber große Angst vor dessen Rache, was ihn veranlaßt sich im Judo, später Fußball und Handball, abzureagieren. In diese Reihe stellt Marc seine frühesten Erinnerungen, in denen es um Prügeleien mit seinem Bruder oder mit Schulkameraden ging. Eine Prügelei in der fünften Klasse stellt er besonders heraus, bei der er Infolge einer Kränkung seine Judokenntnisse erfolgreich anwenden konnte und dafür von Vater Anerkennung erhielt. Vorher hatte er Angst noch mehr abzukriegen, wenn er geärgert wurde und war feige. Nun hatte er gelernt, sich zu wehren.

Den Schulstoff einigermaßen zu verstehen, viel Marc verhältnismäßig leicht, so daß er mit minimalem Aufwand die Klassenstufen erreichte. Mehrfach wurde Marc von den Lehrern darauf hingewiesen, daß er einer der Besten sein könnte, wenn er im Unterricht mitmacht. Er erzählt recht freimütig am Beispiel der Russischlehrerin, wie er zunächst gutgemeinte Aufforderungen sich für den Stoff zu interessieren schroff zurückwies und dafür auch die Drohung entgegennehmen mußte, keine Hilfe mehr erwarten zu können, die während eines schriftlichen Aufsatz tatsächlich wahr gemacht wurde. Ihm war auch dieses egal. Bald mußte er wegen Russisch die Klasse wiederholen. Sein Interesse für ein Fach scheint von seinem Verhältnis zum Lehrer abhängig zu sein. Befragt nach einer Situation, in der er sich beliebt gefühlt hat, gibt er an, daß er vor allem bei Vertretungslehrern, also in unbelasteten neuen Situationen, dieses Gefühl hatte, diese von sich aus mochte und mitarbeitete. Im Nachhinein gibt er aber solche rationalen Gründe für sein Desinteresse, wie die Verwertbarkeit des Lernstoffes für sein späteres Leben, an. Russisch könnte er nur bei einem ausschließlich russisch sprechenden Arbeitskollegen anwenden, während bei Gebrauchsenglisch in Verbindung mit einer Reise sich der Aufwand für ihn lohnt. An Wandertagen sucht er die Nähe der Lehrer, wobei ihm bescheinigt wird, daß er ein prima Kerl sei, was allerdings im Unterricht vermißt wird. Diesen Ausdruck seiner Beliebtheit bringt er mit seiner derzeitigen Aufgabe als Gruppensprecher bei seiner Lehre auf dem Bau in Verbindung, wo er an die anderen Lehrlinge kleinere Arbeiten verteilen darf. Er ist sich nicht sicher, ob die Personen in seiner Umgebung ein gutes Verhältnis zu ihm aufbauen wollen, weil sie ihm mögen oder ob sie ihm in den Arschkriechen, weil sie Respekt vor seiner Glatze haben. Dieses Mißtrauen hat in seiner Geschichte sicherlich tiefe Wurzeln und hat sicherlich eine Rechtfertigung in seiner Position als pädagogisches Objekt.

Schon zu DDR-Zeiten in der 4. und 5. Grundschulklasse begann er mit zum Fußball zufahren und die rechten Sprüche und das "Heben des rechten Arms" der anderen nachzumachen. Sein krimineller Weg begann, als er als Jugendlicher zu unrecht unter dem Verdacht stand, eine Frau aus der Nachbarschaft überfallen zu haben, weil bekannt war, daß er eine Pistole gefunden hatte. Von da an ließ er sich eine Glatze scheren, um zu provozieren und suchte sich einen kriminellen Freundeskreis im Club mit dem er sich oft betrank. Es folgte ein Einbruch in eine Kita, eine Anzeige wegen Ausüben des Hitlergrußes, ein Diebstahl und Körperverletzung an einem Vietnamesen beim "Zigaretten holen". Teils schon mit Jugendstrafen belegt, teils noch einen Prozeß erwartend, zeigt sich Marc sehr reuevoll und besserungswillig. Ebenso will er nicht, daß Straftaten der Mitglieder auf den gesamten Club zurückfallen.

Als Brennpunkt für die ursprüngliche Cliquenbildung gibt Marc einen Imbiß mit billigem Bier an einer S-Bahn-Station an. Der billige Alkohol und die Nähe zum öffentlichen Verkehrsmittel macht diesen Ort zu einen beliebten Treffpunkt und zu einem günstigen Ausgangspunkt für Aktionen. So trafen sich dort 20-30 Personen, die Bahn fuhren oder Freitags in die Disco gingen. Der neu eröffnete Jugendclub, der die Jugendlichen in die Renovierung der Räume einbezog, löste offenbar den Imbiß ab. Der Club wurde zum Treffpunkt der Skinheads der ganzen Gegend, bis er durch einen Brandsatz verwüstet wurde und daraufhin einige bestimmte Mitglieder wegblieben.

Sein Verhältnis zum Streetworker des Clubs beschreibt Marc sehr zwiespältig. Positiv reagiert er auf die organisierten Reisen, um ein anderes Land kennenzulernen. Aber ihn stört die Widersprüchlichkeit des Streetworkers in Form von dem Verdacht, daß er den einen gegen den anderen ausspielt, um durchzusetzen, daß ein bestimmter Kumpel Klubverbot bekommt. Er kreidet ihm an, daß der Streetworker mit seinen 25 Jahren sich nicht dauerhaft zuordnen läßt, ob er zu den Jugendlichen gehört oder seine Arbeit als Streetworker ausübt (was immer er sich darunter vorstellt). Marc weiß nicht, was er davon glauben soll und hat Angst, daß der Streetworker bei etwas Wichtigen die Dinge verdrehen wird. Seine Illustration dieses Konflikts (Besuch von Abgeordneten im Club) verweist allerdings auf Organisations- und Informationsmängel, d.h. einfache Pannen werden psychologisiert als Grund für Mißtrauen angenommen. Andererseits ist von dieser Stelle aus nicht zu beurteilen, ob der Streetworker es vielleicht doch an Wahrhaftigkeit in seiner Arbeit fehlen läßt.

Die Situation, in der Marc sich dazu entschloß, sich eine Glatze scheren zu lassen, war folgende: Wie schon öfter war Marc wieder einmal für etwa eine Woche von zu Hause geflohen. Seine fettigen Haare störten ihn. Sukzessive ließ er sich die Haare immer kürzer schneiden, bis er eine Woche später der Sache einen Schlußstrich geben wollte und sich gänzlich kahlrasieren ließ und dies fortan etwa für ein Jahr beibehielt. Für seine Peergroup war dies kein individueller Entschluß eines Mitgliedes, daß plötzlich mit einem neuen Outfit bei ihnen erschien, sondern das Scheren fand im Club statt, sogar im Dabeisein seines Bruders, der schlechte Erfahrungen damit im Elternhaus gemacht hatte. Trotz dessen Bedenken entschied sich Marc zu diesem Schritt, in die Fußstapfen des Bruders zu treten. Erst im dritten Anlauf erzählt Marc, daß die Freundin seines Bruders (Frisöse) am letzten Tag der Renovierung des Clubs mehreren Mitgliedern die Haare schnitt, so daß er sich anschließen konnte, um sich wie die anderen auch schnell ganz und gar schneiden zu lassen. Er meint erwähnen zu müssen, daß nur wenige Leute, die vom Malern Pause machten, ihm dabei zusahen, aber dann stellt sich heraus, daß sogar ein Fotoreporter aus Amerika bei allen Etappen des Schneidens und Rasierens Aufnahmen von ihm machte. (Rationalisierungen: Glatze gut bei Verletzungen; es kann keiner an den Haaren ziehen; werden nicht fettig )

Marc gibt ein Erlebnis an, bei dem er kritisch auf sein Outfit angesprochen wurde. Sein Haarschnitt und seine Schuhe werden in einer Kaufhalle von einer Gruppe ausländischer Jugendlicher als offensichtlich gewalttätig und rechts gedeutet. Er leugnet angesichts dieser Gruppe, daß er Nazi ist, und seinen Haarschnitt begründet er damit, daß dieser ihm steht. Auch auf die Provokation durch den Hinweis auf einen farbigen Jugendlichen reagiert er nur ausweichend. Er hat große Angst, in solchen Situationen Schläge einstecken zu müssen oder mit dem Messer verletzt zu werden, obwohl es an ihm noch nicht geschehen war. Aber er kann von anderen in den blühendsten Farben berichten.

Den Wunsch auch mal zuzuschlagen hatte er beim "Zigarettenholen", wonach er die letzte Anzeige erhielt. Er war betrunken und fühlte sich nun als Mann. Er hatte die Vorstellung, wenn er zuschlägt, kippt der andere gleich um, und dann ist die Sache beendet, aber der andere wehrte sich. Provoziert duch den Ausländer fühlte er sich nicht, aber im Nachhinein angestiftet von seinen Kumpels, die anschließend den Erlös der Zigaretten in Form von Alkohol verkonsumierten ohne ihm etwas abzugeben. Diese Erfahrung verleitet ihn, weitere Aufforderungen zum "Zigarettenholen" abzulehnen, mit der Folge, daß er wohl nicht mehr zu diesem Kreis gehört und sich mehr an den Leuten von der Disco am Wochenende orientiert.

Marc kann nicht ganz verbergen, daß er es gut findet, wenn sich die Presse für ihn interessiert. Ihm gefällt es, wenn berichtet wird, daß er fest im Schulklub mitarbeitet, nach der Disco saubermacht. Schlechte Presse hingegen lehnt er ab, vor allem, wenn die Jugendlichen nach ihren politischen Absichten befragt werden. Er möchte kein schlechtes Bild von sich verbreitet haben. Sie wollen sich nicht zu politischen Fragen äußern und beschweren sich über Presseleute, die mit Versprechungen ihnen etwas entlocken können und dieses trotzdem veröffentlichen. So wird Marcs Bruder abgerungen, daß Ausländer nicht zum Klubkinderfest kommen dürfen. (Allerdings ist an dieser Stelle die Interviewerin von ihren Prinzipien abgewichen und stellte tendentielle Fragen: Waren das Fangfragen, die ausgeschlachtet wurden?). Später beklagt er sich, daß die Leute aus der Wohngegend ihre Meinung über die Jungendlichen ausschließlich am Krach vom Klub und der schlechten Presse bilden und nicht sehen, daß die Jugendlichen tagsüber arbeiten gehen. Er behauptet die Bürger sehen nur das, was sie sehen wollen. Es ist fraglich, ob Marc hier in faschistoider Weise die Verhältnisse umdreht, in den er seine eigenen Vergehen herunterspielt und seine persönlichen Errungenschaften, die er allerdings nie ohne Hilfe der öffentlichen Hand in Form von Klubjugendmaßnahme, Lehrer und Fortbildungsmaßnahmen vom Arbeitsamt erreicht hätte.

Sein zwei Jahre älterer Bruder ist sein großes Vorbild, während er seine zwei Schwestern nur als keifende in Erscheinung treten. Aufgrund der Erfahrungen seines Bruders mit den Republikanern, in dessen Partei er eingetreten und fleißig an Versammlungen teilgenommen hatte, hat Marc kein Vertrauen in rechte Organisationen. Als Glatzen verstehen sie sich als Fußvolk der Partei und wollen sich nichts von intellektuellen Politikern etwas sagen lassen. So heißt es, daß die Reps durch die Glatzen entstanden sind und nun von den Politikern in Anzügen aus der Versammlung geworfen werden. Das Eintreiben der Beitragsgelder von Seiten der Partei steht im Mißverhältnis zum Aufgreifen der Bedürfnisse der Mitglieder. So fühlt er sich einmal mehr als der "Gelackmeierte". Allerdings ist nicht deutlich geworden, wie resistent Marco aufgrund dieser Erfahrung gegen rechtsradikale Organisationen ist. Wenn eine Gruppe mehr seine Interessen aufgreifen würde, könnte er sich ihnen anschließen, denn inhaltlich hat er keine Widersprüche.

Marc zieht die "selbstgemachte" Musik mit viel Guitarren der Computermusik vor, mit der Begründung diese kann man stundenlang hören ohne "blöde" zu werden. Eine ähnliche Bedeutung hat für ihn der Gebrauch der Droge Alkohol.

Zum Ende des Interviews geht Marc auf seinen Ausländerhaß ein, aber gerät durch seine Assoziationen von den hier arbeitetenden Ausländern, die er aktzeptiert, über Asylbewerber, die vom Staat unterstützt werden, zu den Sozialhilfeempfängern, die sich nur auf die faule Haut legen, und den Politikern, die im sitzen viel mehr Geld verdienen als er mit seiner harten Arbeit. Er hat Angst bei steigenden Steuern und Lebenshaltungskosten zu verarmen, während andere im Champagner baden. Um diese Aussagen deuten zu können, müßte man ganz genau herausfinden, ob Marc diese Menschen aus politischen, moralischen, religiösen oder ökologischen Gründen ablehnt oder es sich für sich insgeheim wünscht sich auf die faule Haut zu legen und 6.000,-DM zu verdienen. Im zweiten Falle hat Marc Haß Ähnlichkeit mit einem neidischen zweijährigen, das mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln das Begehrte für sich erheischen will. Eine interessante Wendung in der Begründung seiner Gewaltbereitschaft gibt Marc, wo er erklärt, daß es völlig Gleichgültig ist ob jemand schwarz ist, Schlitzaugen hat oder eine Glatze trägt, der Frust wird an aderer Stelle produziert: er kommt von oben her nicht von untereinander der Jugendlichen.

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Autonome

4. Die Geschichte von Bernd

Bernd ist zwanzig Jahre und verbüßt eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Er ist Vater eines vier Jahre alten Sohnes und er will in Zukunft wieder mit seiner Verlobten zusammen leben. Nach seiner Aussage verlebte er seine Kindheit mit recht gleichgültigen Eltern, die sich scheiden ließen als er im Krippenalter war. An seiner Zwillingsschwester hängt er im Gegensatz zu seiner zwei Jahre älteren Schwester sehr, weil sie viel zusammen "Blödsinn" gemacht haben und sie immer "hinter ihm gestanden hat".

In der fünften Klasse ist er sitzen geblieben und begann die ersten Straftaten. Nach der achten Klasse verließ er die Schule und versuchte eine Lehre als Elektromontierer, die er aber bald abbrach. Anschießend wurde er im Werkhof untergebracht, wo er einen alten Bekannten traf und der sich seiner annahm.

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