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THESEN ZUR DIALEKTIK DER AUFKLÄRUNG VON HORKHEIMER UND ADORNO

Anlässlich der Diplomprüfung im Fach Allgemeine Erziehungswissenschaft am 24. Mai 2000 Bei Professor Geulen

1. Absatz: Die Kultur des Spätkapitalismus (1947) ist nicht wie erwartet im Chaos versunken, sondern ist sich in allen ihren Manifestationen (Film, Radio, Magazine) ähnlich und bildet ein System. Die politischen Gegensätze [Ausbeutung der Arbeiter, Klassengegensätze, Entfremdung] werden in den ästhetischen Gegenständen in Form der kapitalistischen Produktionsweise ausgedrückt [dessen Inbegriff damals der Fließbandrhythmus bei der Stahlproduktion war; heute wäre es vielleicht eher das Mausklicken in der virtuellen Welt des Computers]. Die Industriearchitektur ist in der ganzen Welt ähnlich; ob im gleichgeschalteten Faschismus oder in der Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, drückt sie die sinnreiche Planmäßigkeit der globalen Großkonzerne aus. Gegenüber diesem technischen Fortschritt wirken die Städte um diese Zentren alt und zu verwerfen und die neuen Stadtrandhäuser wirken gleich als Einwegpackungen. Rational wohlorganisierte städtebauliche Bauprojekte sollen den Individuen [vielleicht besser Menschen, die erst zu Individuen werden] durch die Kleinwohnungen die Entwicklung zu selbständigen Subjekten ermöglichen, aber durch die Rationalität der Wohnungen, die der der Zentren entspricht, besteht eine Einheit [Identität] von Allgemeinem (Makrokosmos) und Besonderem (Mikrokosmos), die das Individuum nur noch gründlicher der totalen Kapitalmacht unterwirft. Diese falsche Einheit [Identität] ist das Modell der industriellen Kultur. [Jeder Satz sagt im Grunde dasselbe mit anderen Worten. Ist diese Form des zu sagenden Inhalts geschuldet? Trotzdem ist jeder Satz für sich eine eigene These, die für sich zunächst mal nicht begründet wird.] 1947 ist die Struktur und Begrifflichkeit der Massenkultur, wie sie im Monopolkapitalismus entstanden ist, deutlich geworden. Ihre Gewalt verstärkt sich mit ihrem Verzicht, sich schamhaft als Kunst zu verkleiden, und sich nun als reines Geschäft entpuppt. Diese Wahrheit wird zudem als Ideologie verwendet, die die vorsätzlich schlecht hergestellten Fertigprodukte an Kultur als notwendig rechtfertigen [Kultur wird zum Geschäft mit Fertigprodukten und ist somit der Profitmaximierung unterworfen].

2. Absatz: [Die permanenten blumigen Metaphern machen mir bei der Übersetzung zu schaffen. Ist das die Methode der Autoren der Verdinglichung und Eindeutigkeit der Sprache zu entkommen?] Kultur für die Massen erzwingt rationale dem Kapital entsprechende Organisation und Planung von Kultur und macht die Entwicklung von Standards notwendig [gemäß der Ideologie]. Die Produkte werden akzeptiert, da sie ursprünglich aus den Bedürfnissen der Konsumenten hervorgegangen sind. Aber dies ist ein Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, auf dem Weg der Technik, Macht über die Gesellschaft [steht die noch nicht unter dem Monopol?] zu gewinnen. Die Technik liegt in den Händen der gesellschaftlich Stärksten. Ihre Rationalität hat sich mit der Rationalität der Herrschaft verbunden, ist ihr nun gleich. Sie presst der Gesellschaft den Zwangscharakter [siehe Psychoanalyse der Neurosen und Freuds Begriff der Rationalisierung im Sinne von verdecken der tatsächlichen Triebgründe] auf, der sie von sich selbst entfremdet. Die Technik hat durch Standardisierung und Serienproduktion das am Kunstwerk entfernt, was es vom Kulturprodukt unterscheidet. Dies bewerkstelligte sie nicht weil sie Technik ist, sondern in ihrer Funktion in der kapitalistischen Produktion. 1947 wird das andere [muss es offen bleiben, was das andere sein könnte? Würde es mit einer Beschreibung gebannt und damit der Kulturindustrie zugeführt werden? Müssen nicht auch diese Residuen der alten Gesellschaft durch das Kapital durch?] am Kunstwerk, das sich nicht in die rationale Produktion einpasst, nicht mehr durch eine zentrale Kontrolle unterdrückt [der Zensor zu Marx Zeiten], sondern schon vorher von der individuellen Kontrolle verdrängt [siehe Freud: Verdrängung als Abspaltung von Inhalten ins Unbewusste]. Das Telefon ließ die Teilnehmer immerhin noch Subjekte spielen. Am Radio sind alle demokratisch gleich den Programmen ausgeliefert, ohne dass sie wirkungsvoll reagieren können. Jede übriggebliebene Reaktion des Publikums wird neutralisiert durch die Möglichkeit [ist dies als Anspielung an Musils Mann ohne Eigenschaften?] der Teilnehmer in den Produktionsprozess der Kulturindustrie aufgenommen zu werden (Talentsucher, Wettbewerbe). So ist die Verfassung des Publikums ein Teil des Systems. Das schlechte Publikum, das zur Entschuldigung der schlechten Produkte vorgebracht wird, wird durch die Kulturindustrie erst hergestellt. In der Kulturindustrie werden den kulturellen Produkten ihrem Medium und ihrem Stoff nach fremde Formen aufgesetzt. Sie verfährt mit fremden Rezepten. Zum Beispiel hat der dramatische Höhepunkt einer Soapopera den Charakter einer pädagogischen Vermittlung zur Bewältigung technischer Schwierigkeiten. [Die anderen Beispiele kann nur ein Kunstkenner würdigen] Hier ist kein Platz für spontane Wünsche des Publikums. Der technische und personelle Apparat der Kulturindustrie ist in jeder Einzelheit ein Teil des ökonomischen Selektionsprozesses, der nur die Herstellung von Produkten zulässt, die dem Begriff des Konsumenten der Industriellen und vor allem ihnen selber gleicht.

3. Absatz: Die Kulturindustrie ist im Verhältnis zu den bestimmenden Industrien (Stahl, Petroleum, Elektrizität, Chemie) schwach und abhängig. Sie selbst muss den Bedingungen der Banken (Film) der Elektrizität (Sendegesellschaften) entsprechen, um mit ihrem spezifischen Warentypus zu bestehen. Dies macht deutlich, wie eng die Industrien zusammenhängen und die Grenzen verloren gehen. Die Differenzierungen unter den Kulturprodukten in lückenlose Hierarchien von Qualitäten dienen der Organisation und Erfassung der Konsumenten: Für jeden gibt es sein Produkt, damit keiner ausweichen kann. Die Unterschiede der Konsumentengruppen werden verfestigt und jeder soll zu seinem Produkt greifen können [TAZ-Leser versus Tagesspiegelleser]. Wie in der Propaganda werden die Konsumentengruppen zum statistischen Material und auf diesem Wege differenziert erforscht.

4. Absatz: Die Unterschiede in den Erzeugnissen sind eine Illusion, wie sie schon jedes Kind erkannt hat, das sich um die bestimmten Vorzüge von Automarken gestritten hat. Die Unterschiede der Produkte werden auf quantitative Merkmale reduziert [Die Vor- und Nachteile eines Produktes werden bewusst und rational durch dessen Kreierung auf die Konsumentengruppe zugeschnitten - Langlebigkeit und Sollbruchstelle. Die Grenzen des Produktes sind schon vor der Herstellung bekannt und gewollt eingerichtet]. Diese Unterschiede halten den Schein von Konkurrenz und Auswahl aufrecht und der Schein ermöglicht diese zu verewigen. Die Höhe des Aufwandes bei einer Filmproduktion in Technik, Ausstattung und Verwendung neuester psychologischer Formeln gleicht der Zylinderzahl und Aufwendigkeit in der Verarbeitung eines Autos. Beides ist zur Schau gestellte Investition und hat inhaltlich nichts mehr mit dem Sinn der Erzeugnisse zu tun. Die Übereinstimmung von Wort, Bild und Musik im Fernsehen ist die ungewollte Verwirklichung des Wagnerschen Gesamtkunstwerkes [heute noch gesteigert durch das Event]. Das Fernsehen protokolliert die gesellschaftliche Realität, da es in allen seinen sinnlichen Elementen in durch den gleichen technischen Arbeitsgang produziert wird. Damit kann es die Allmacht des Kapitals in die Herzen der Konsumenten brennen [Ist dies eine Anspielung auf Hegels Herr/Knecht-Kapitel?].

5. Absatz: Die Kulturindustrie nimmt dem Subjekt die Leistung ab, die Kant ihm noch zumutet: die sinnliche Mannigfaltigkeit auf die Apriori des Schematismus zu beziehen. Was bei Kant noch das Rätsel geheimer seelischer Mechanismen ist, unterliegt heute der Planung und Absichtlichkeit der industriellen Produktion. In dem sie den Schematismus übernimmt, der vorher Gott zugeschrieben wurde, verwirklicht sie den Idealismus [das Bewusstsein bestimmt das Sein]. Das Verhältnis Detail und Ganzes erhält in der industriellen Produktion von Kunst eine neue Form. Während das Detail in der Romantik bis zum Expressionismus sich vom Ganzen emanzipieren sollte ist es nun beliebig austauschbar und vollständig definiert durch den Zweck, den es im Schema zu übernehmen hat und wird zum Clichee. Aufgabe und Dasein der Details ist, sich zum Schema zusammenzusetzen und dieses zu bestätigen. Die Kulturindustrie hat sich, durch die Vorherrschaft des Details (Effekts) über das Ganze, entwickelt. Die aus der Emanzipation des Details historisch entstandene Vorherrschaft wird andererseits durch die Totalität der Kulturindustrie zerstört: Ganzes und seine Teile stehen sich ohne Zusammenhang gegenüber. Das Detail wird zur Illustration, Beweisstück für das Ganze. Der Zusammenhalt ist nun eher der einer Registraturmappe, die die Details ordnet. Einzelnes und Ganzes sind kein Gegensatz mehr, sondern sie sind sich ähnlich. Dieses Verhältnis garantiert von vornherein eine Harmonie, die das bürgerliche Kunstwerk erst erarbeiten musste.

6. Absatz: Immer lückenlosere Techniken verdoppeln die empirischen Gegenstände (Film), um die Täuschung herzustellen, die Welt draußen sei eine Verlängerung der Welt des Films [d.h. der Alltag wird auf der Matrize der absichtsvoll produzierten Welt wahrgenommen]. Da der Ton zum Film kommt, lässt dieser dem Zuschauer keine sinnliche Dimension offen, in der er unkontrolliert von den exakten Vorgaben abschweifen kann. Dass die Spontaneität und Vorstellungskraft der Konsumenten verkümmert, muss nicht psychologisch begründet werden, sondern hat seinen Grund in der Form der Kulturprodukte. Der Konsum der Filme erfordert Auffassungsgabe, Promptheit und Versiertheit, um die vorbeihuschenden Fakten des Filmes nicht zu verpassen. Dies erfordert eine permanente Anspannung, die die Einbildung als mögliche Zutat und Teilhabe am Kunstwerk verdrängt, weil sie die Aufmerksamkeit komplett absorbiert. Es gibt keinen subjektiven Anteil am Kunstwerk, sondern die Konsumenten sind ganz der Objektivität des Produktes ausgeliefert. Die Art der Aufmerksamkeit ist andererseits so vertraut und automatisch, dass die Produkte auch im zerstreuten Zustand konsumiert werden können. Die Kulturindustrie als Bereich der gesellschaftlichen Reproduktion von Arbeitskraft, reproduziert die Menschen genau als das, wozu sie schon durch die Arbeit unterm Kapital gemacht wurden. [Reproduktionsphäre ist nicht mehr Gegensatz und Ausgleich zur Arbeit, sondern funktioniert wie diese und übt dessen Bedingungen auf anderer Ebene nochmals ein.]

7. Absatz: In der Kulturindustrie hat auch der Stil eine eigene Qualität: Er ist die stereotype Übersetzung von jedem und allem (auch dem, was noch nicht gedacht ist) in das Schema der (mechanischen) Reproduzierbarkeit. Der Stil wird allerdings mit noch nicht dagewesener Strenge auf Einhaltung überprüft. Der Katalog des Erlaubten und Verbotenen grenzt nicht nur die beiden Bereiche von einander ab, sondern strukturiert auch den freien Bereich [es gibt kein Außen]. Der permanente Zwang zu immer neuen Effekten vermehrt die Gewalt des alt Hergebrachten, dem der Effekt entkommen möchte. Mit dem Erscheinen trägt jedes Produkt bereits den Jargon. Diesen Jargon sich zur zweiten Natur zu machen, ist das Ideal der Akteure, und er wird umso machtvoller, je mehr die Spannung zwischen dem Produkt und dem Alltäglichen herabgesetzt werden kann [Sprache im Radio: die Anstrengung soll nicht bemerkt werden, muss sich aber immer Übertreffen]. Der Zwang zur Natürlichkeit macht den Stil der Kulturindustrie aus und ist daher ein System der Nicht-Kultur beziehungsweise stilisierte Barbarei (Nietzsche).

8. Absatz: Das Idiom [Gruppenspezifischer Ausdruck; Wortzusammenhänge, deren Sinn nicht aus der Zusammensetzung der lexikalischen Bedeutungen der Einzelwörter geschlossen werden kann: frieren wie ein Schneider] der Natürlichkeit, das avangardistische Fähigkeiten, auch subtilste Nuancen wahrzunehmen, erfordert, absorbiert ungeheure Produktivkraft. Es darf keine Differenz zwischen Form (Stil) und Inhalt (Stoff) bestehen bleiben. Das Widerspenstige an der Materie ist von vornherein ausgeschlossen beziehungsweise nicht mehr erkennbar. Die Materie ist bereits verdinglicht, bevor es zur Auseinandersetzung mit ihr kommt. Insofern ist der Stil der Kulturindustrie kein Stil mehr, da er sich nicht mehr an der Widerspenstigkeit des Materials erproben und nicht mehr die Versöhnung von Besonderen und Allgemeinem versuchen muss. Die Extreme von Besonderem und Allgemeinem berühren sich in einer trüben Identität. [Arbeit gibt es in der Kulturindustrie nicht: Arbeit war die Bezwingung und Aneignung der vom Menschen unabhängigen Natur zur Befriedigung seiner Bedürfnisse. Mensch und Natur waren Gegensätze, die durch Arbeit vermittelt werden. Die Akteure der Kulturindustrie sind von Arbeit befreit: so kann die gesellschaftliche Arbeit durch sie nicht mehr reflektiert werden. Sie kann sich der gesellschaftlichen Antagonismen nur noch in einem "als ob" widmen.]

9. Absatz: Stil war schon immer Ausdruck und ein Instrument von Herrschaft als allgemeines Gesetz. Diese Funktion wird aber erst in der Kulturindustrie sichtbar. Die großen Künstler haben den Stil nie verfochten; in ihren Werken wurde immer auch das Leiden - durch den Stil (Gesetz) - aufgenommen. Sie stellten damit die gesellschaftlichen Antagonismen, aber auch gleichzeitig die mögliche Versöhnung zwischen leidendem Besonderen und dem Gesetz des Allgemeinen dar. Das Kunstwerk stellt die Versöhnung als erfüllt dar und ist insofern Ideologie. Aber es stellt auch das notwendige Scheitern der leidenschaftlichen Anstrengung dar; es setzt sich dem Scheitern aus. In der Kulturindustrie hat sich das Kulturprodukt durch die Ähnlichkeit ganz dem Suggorat der Identität hingegeben und damit ganz auf die Seite der Ideologie geschlagen. Von der Kultur zu sprechen, war schon vor ihrer Industrialisierung eine Erfassung und Klassifizierung ihrer Werke und bedeutete ihre Entmächtigung. Die industrialisierte Kultur ist nur die Konsequenz des Begriffs Kultur.

10. Absatz: "Die realitätsgerechte Empörung [Kritik] wird zur Warenmarke dessen, der dem Betrieb eine neue Idee zuzuführen hat." Die Kritik am oder Ausbruch aus dem System der Kulturindustrie wird von derselben absorbiert und integriert, indem der Kritik ein Platz im Warensortiment eingeräumt wird. Sie bereichert das Geschäft und die kritischen Potenziale werden neutralisiert. Die Antiquiertheit der europäischen Kultur, die durch die Protektion der Fürsten und Feudalherren vor der Modernisierung und Demokratisierung verschont geblieben ist, erhielt sich lange eine Resistenz gegen das Prinzip Angebot und Nachfrage. Vorher war der Leib des Kunstschaffenden gefesselt, aber der Geist war frei und konnte die gesellschaftlichen Bedingungen unterlaufen. Heute ist sein Körper frei und seine Güter die seinen, aber die Seele (deren Widerstand) wird verkauft. Vorher war die Moral die Drohung zur Selbstunterwerfung, heute verfallen die betrogenen Massen dem Mythos des Erfolges und bestehen auf die Ideologie, der man sie unterwirft. Das ist ein ideologischer Burgfrieden und der Konformismus und die Unverschämtheit gewinnen das gute Gewissen in der Produktion des Immergleichen.

11. Absatz: Die Immmergleichheit regelt das Verhältnis zum Vergangenen und schließt das Neue aus. Bestand in der Kulturindustrie hat nur das Allvertraut-nie-dagewesene. Nichts darf beim Alten bleiben und ständig in Bewegung sorgt der universale Rhythmus der Produktion, dass sich nichts ändert. Es ist als ob, wie bei Platon, alle möglichen Ideen unvermehrbar bereits am Himmel hängen. Die Palette der Ideen stammen aus dem Durchschnitt des spätliberalen Geschmacks [Welches Trauma ist zu dieser Zeit über die Gesellschaft hereingebrochen, dass an dieser Stelle ihrer Entwicklung stehen bleiben musste?]

12. Absatz: Die Freiheit der vorindustriellen Kunst war erkauft mit dem Ausschluss der unteren Klassen. Mit der Kunst als Amüsement in der Kulturindustrie wird Kultur zum gesellschaftlich Allgemeinen, denn sie bezieht die Unterklasse mit ein, in der der Ernst schon im Dasein liegt. Die leichte Kunst hat die ernste immer schon als deren schlechtes Gewissen begleitet. Die Kulturindustrie überwindet diesen Gegensatz (Benny Goodmann spielt mit dem Budapester Sinfonieorchester und hat deren technische Präzision zu übertreffen). Die konkurrierenden Ideologien werden von der Konkurrenz in der Technik abgelöst.

13. Absatz: Im Amüsement erreicht die Kulturindustrie am perfektesten ihre Macht über die Arbeitenden. Diese suchen das Amüsement als Ausgleich gegenüber dem mechanisierten Arbeitsprozess, es ist aber dessen Fortsetzung. Das Amüsement darf, um das Vergnügen nicht zu gefährden, keinerlei Anstrengung kosten und keiner eigenen Gedanken bedürfen. Eine logische Geschichte oder ein sachlicher Zusammenhang würde geistige Tätigkeit voraussetzen. So wird die Handlung zerstückelt und durch Signale (die jeweils wirkungsvollste Idee des Schreibers) wird auf die jeweils nächste Szene verwiesen. Jeder Zusammenhang wird vermieden, indem der zerstückelt und massakriert wird, zugunsten des puren Blödsinns. Das ist die Feindschaft des Amüsements gegen das, was mehr wäre als es selbst. Gerade die Befreiung vom Denken sichert die Unterwerfung unters Kapital.

14. Absatz: Trickfilme waren einmal Residuen gegen die Rationalität. Nun habe sie die Qualität der organisierten Grausamkeit (alles wartet auf die Prügel des Helden). Diese Lustigkeit schneidet jede Lust ab und verschiebt sie auf den Tag des Progroms.

15. Absatz: Der Spaß an der Gewalt schlägt in die Gewalt gegen die Zuschauer um. Der sinnlose Fortgang der Geschichten erfordert, dass den Sinnen nichts entgehen darf, was sich die Macher an Effekten und Signalen ausgedacht haben. Der Zuschauer muss stets überall mitkommen und darf sich keinen Augenblick als dumm erweisen. Die Kulturindustrie erfüllt nicht mehr die Funktion der Ablenkung, sie ist vielmehr entbehrlich und ökonomisch überflüssig für die Menschen.

16. Absatz: Während das Kunstwerk die Versagung als etwas negatives darstellt und die Wunscherfüllung stets gebrochen darstellte, verspricht die Kulturindustrie immerwährende Lust. Sie heizt aber immer nur die Begierde an, ohne dass es je zur Erfüllung kommen darf [Sie beruht auf Vorlust, die immer weiteren Konsum erzwingt.]. Die Versagung wird zur Gewohnheit wie das Durchhalten im Produktionsprozess. Das Sexuelle wird reduziert und in reduzierter Form wird vieles zugelassen. Dies bedeutet eine Verdrängung des Sexuellen unter dessen Anheizung. Der Versagung gilt nun die Schadenfreude. Lachen war vorher ein Lachen der Erleichterung nach der Befreiung von einer Macht, dem Entronnensein aus der Gefahr. Fun ist das Verlachen von Skrupeln aufkosten von anderen und mit der Majorität im Rücken zu allem bereit [SA, SS]. Im Amüsement wird die permanente Versagung, die die Zivilisation abverlangt, unmissverständlich mit jeder Schaustellung noch einmal zugefügt und demonstriert. Die Kastrationsdrohung wird umgesetzt. Die Kulturindustrie ermöglicht zwar sich alle Bedürfnisse als erfüllt vorzustellen, aber nur als Objekt und Konsument der Kulturindustrie, ohne eine Ahnung von Widerstand. Die Kulturindustrie pachtet das Paradies für sich und führt alle Ausreißer an den Ausgangspunkt (ihren Alltag) zurück.

17. Absatz: Andererseits wird auch das bisher völlig sinnlose Amüsement, z.B. die Körperartistik, zum verschwinden gebracht, so wie der Sinn des Kunstwerkes. Denn es wird der planenden Vernunft unterworfen, in dem ihm Bedeutung und Wirkung abverlangt werden. (Jeder Kuss muss zur Laufbahn des Stars beitragen.)

18. Absatz: Es vollzieht sich aber nicht nur eine Verschlechterung der Kultur, sondern auch dessen Vergeistigung. Der Glaube wird so verfeinert, dass er nur noch den Goldgrund [der Ikone] sieht, der hinter das Wirkliche projiziert wurde. Das Amüsement leistet eine Reinigung des Affektes, wie es Aristoteles für die Tragödie vorbehielt, und enthüllt die Wahrheit über die Katharsis.

19. Absatz: Auch die bürgerliche Utopie der Gleichheit ist in der Kulturindustrie auf bedrohliche Weise wahr, nämlich in Form der Wahrscheinlichkeitsrechung. [Bei Marx in der Judenfrage war die Gleichheit noch erkauft durch eine Spaltung des Subjekts in Citoyen und Bourgeois.] In der Gleichheit nach der Logik der Wahrscheinlichkeit wird diese Spaltung aufgehoben, da nichts über den Citoyen überschießendes erhalten blieb, also das was die Individuen ungleich machen würde. Aber in der absoluten Gleichheit liegt auch der absolute, weil unvermittelte Unterschied der Individuen als geplanter Zufall. Jeder könnte das große Los ziehen, aber die Wahrscheinlichkeit ist zu gering, so dass gleich auf das Glück verzichtet wird. Jeder ist nur noch das, wodurch er den anderen ersetzen kann. Er ist fungibel und ganz und gar Exemplar seiner Gattung, er ist zum Gattungswesen geworden. [Er ist es ganz ohne seine Mühe, einfach, da er sich den Reduzierungen der Kulturindustrie unterworfen hat.] Die Kulturindustrie kennt nur noch zwei Verhältnisse von sich zu den Menschen: als Kunden mit der Freiheit der Wahl und als rational angepassten Angestellten.

20. Absatz: Die Ideologie wird notwendig immer leerer; die Ideale von Harmonie und Güte der Gesellschaft sind inzwischen mit der universalen Reklame zu konkret geworden. Das Wort, das nicht Mittel ist, erscheint sinnlos. Werturteile sind entweder Reklame oder Geschwätz. Das Wirkliche wird zum Göttlichen erhoben durch dessen Wiederholung und Verdopplung (Photographie). Es ist ein Kultus der Tatsachen: Durch eine möglichst genaue Darstellung wird das schlechte Dasein ins Reich der Tatsachen gehoben.

21. Absatz: Die Ideologie sorgt für die, die sich bemühen, sich in die Skala des Apparates einzuordnen. Outsider zu sein, ist das schlimmste Verbrechen nach dem Kapitalverbrechen, denn das Individuum ist nicht mehr nur faul, sondern verdächtig. Für sie sind die Konzentrationslager bereitgestellt. "Die Kulturindustrie aber reflektiert die positive und negative Fürsorge für die Verwalteten als die unmittelbare Solidarität der Menschen in der Welt der Tüchtigen."(Seite 135) [Es ist auch heute noch das Ziel der Sozialarbeit, die Familien zu Realitäts- und Lebenstüchtigen Instanzen zu machen.] Die Helfenden vergessen niemanden und haben ihr Herz auf dem rechten Fleck; durch gütiges Eingreifen machen sie aus der gesellschaftlichen Misere einen heilbaren Einzelfall (insofern die Verderbtheit der Ausgestiegenen dem nicht entgegensteht - Drohung muss sein). So wird auch die letzte private Regung unter Kontrolle gebracht. Diese Tätigkeit wird als Akt des Mitleids aufgezogen, um wenigstens ein fiktives Interesse an ihnen zu heucheln. Die Helfer sind aber nur Platzhalter derer, die schließlich das Mitleid abschaffen.

22. Absatz: Die Arbeit der Helfer ist die Art du Weise, wie die Industrielle Gesellschaft dem von ihr geschaffenen Leid ins Auge blickt: die Gesellschaft schafft das Leiden ihrer Angehörigen nicht ab, sondern plant und registriert es und nimmt dem Leiden als Einzelfall die gesellschaftssprengende Kraft durch dessen Anpassung an den gesellschaftlichen Verzicht. Die Anleihen von Tragik aus dem kulturellen Bereich lassen das zensierte Glück weniger fad und interessanter erscheinen und machen zugleich die Interessantheit handhabbar. Die Tragik hebt den Prestigewert der Bildung für die aufstrebenden Mittelklassen. Die Verwendung der Tragik gibt den Trost, dass es doch noch Menschenschicksale gibt und dass ihre rückhaltlose Darstellung unumgänglich ist. Das Dasein ist lückenlos geschlossen; in dessen Verdopplung geht die Ideologie auf. Das Individuum ist abgeschafft.

23. Absatz: Das Individuum wird nur insoweit zugelassen wie es mit dem Allgemeinen identisch ist. Insofern ist das Individuum eine Illusion. Es reduziert sich auf die Fähigkeit des Allgemeinen, alles Zufällige restlos festzuschreiben und zu fixieren. Individuen sind nur noch Verkehrsknotenpunkte der Tendenzen des Allgemeinen. Aber auch das bürgerliche Individuum war eine Fiktion, da es ökonomisch auf die Arbeiter als bloße Gattungswesen bezogen war. In der Massenkultur wird das Fiktive des Individuums deutlich. Jeder Fortschritt der Individuation wird auf Kosten der Individualität erkauft. Die Kulturindustrie kann so erfolgreich mit der Individualität umgehen, weil sich in ihr schon vorher die Brüchigkeit der Gesellschaft reproduzierte. Nun ist man der bürgerlichen Anstrengung der Individuation enthoben, sie ist ersetzt durch die atemlose Nachahmung. Aber selbst hier ist kein systemsprengendes Kritikpotential erkennbar: solche widerspruchsvollen, zerfallenden Personen können über Generationen überdauern; das System muss nicht an dieser psychischen Spaltung zerbrechen und die Menschen ertragen die lügenhafte Unterschiebung von Stereotypen als ihre Individualität.

24. Absatz: Die Kunst nimmt so sehr den Warencharakter an, dass sie sich gar nicht mehr verkaufen muss. Indem sie die Kulturgüter durch Radio verschenkt, transportiert sie um so reiner ihren Warencharakter zu den Menschen. Während Beethoven noch die Widersprüchlichkeit im Verkauf seiner Kunst wahrnimmt, verfallen heute die Künstler der Ideologie, in dem sie den Widerspruch verdecken. Der Gebrauchswert der Güter wird durch den Tauschwert ersetzt (aus dem Genuss wird Dabeisein, Bescheidwissen und Prestigegewinn). Die Kunst hat nur noch Gebrauchswert im Tausch für etwas anderes. Die Kunst wird zum Fetisch [ Freud: Fetisch ist ein sexualisierter Gegenstand (Objektverschiebung), der sich zur genitalen sexuellen Befriedigung nicht eignet.]. Die Unverkäuflichkeit der Kunst (Radio) täuscht über ihre ökonomische Grundlage hinweg: dem Profit der Industrien (Empfangsgeräte). Da das Radio auf den Verkauf seiner Kulturprodukte verzichten kann, erhält es den Anschein überparteilicher Autorität. Die Faschisten erkannten dies und zogen ihr metaphysisches Charisma aus der Allgegenwart des Radios, die den Inhalt ersetzt. Im Radio kann das durch den Schein der Auswahlmöglichkeit verhüllte Diktat der Produktion in das Kommando des Führers übergehen.

25. Absatz: Die Abschaffung des Bildungsprivilegs durch den Ausverkauf der Kunst ermöglicht den Massen nicht den Zugang zu dem, was ihnen bisher vorenthalten wurde, sondern führt sie in den Fortschritt der barbarischen Beziehungslosigkeit. Das Bildungsprivileg war vorher durch Geld vermittelt [die Bürgerlichen mussten sich verausgaben, um die Güter zu bekommen und waren von daher beschränkt in ihrem Genuss]. Diese Schranken gibt es nicht mehr und dies entfremdet die Konsumenten um so mehr von der Kunst. Es gibt keine Kritik und keinen Respekt mehr. Kultur wird zur Dreingabe, ihre Rezeption ist das Nutzen von Chancen, diese guten Gaben unter dem Preis der Zwangsgefolgschaft zu empfangen [wie eine Hostie: das Zugänglichmachen der Kulturgüter für alle Schichten wird zur sakramentalen Verrichtung].

26. Absatz: Ohne die Reklame wäre die Kulturindustrie überflüssig und nicht lebensfähig. Aber auch die Reklame hat nicht mehr die Funktion der Zeitersparnis, in dem sie effizient die Kunden und die Waren zusammenführt. Sie ist nur noch das Prestige der großen Konzerne, die aus ihrem Zirkel der Mächtigen nicht herausfallen wollen (im Krieg wurde mit viel Aufwand Reklame gemacht für Waren, die es nicht mehr gab). Sie ist nur noch Darstellung von gesellschaftlicher Macht. Technisch wie ökonomisch verschmelzen Reklame und Kulturindustrie und es geht nur noch um die Überwältigung des als zerstreut und widerstrebend festgelegten Kunden.

27. Absatz: Die Aufklärung im Industriezeitalter betrifft auch die Entmythologisierung der Sprache: die Sprache geht in Mitteilung auf; das Wort wird zum abstrakten, eindeutigen Zeichen; das Verhältnis Wort und Gegenstand wird zur Formel. Die mythische Vieldeutigkeit der Worte war vorher Ausdruck eines gesellschaftlich vermittelten Aneignungsprozess der Gegenstände. Heute ist das Verhältnis Sprache zum Gegenstand ein unmittelbares d.h. unvermitteltes und von daher undurchschaubar. Dadurch erhält es die Schlagkraft von Zaubersprüchen und ist magisch. Die Magie der Namen, die vorher die Menschen in ihrer Geschichte individualisierte wird umgangen durch einheitliche Namensgebung (Bob, Harry), die die Brüderlichkeit im Team vorwegnimmt und vor der eigentlichen beschützt. Die Volkslieder als gesellschaftlich vermittelte Hochkultur wird ersetzt durch das unmittelbare Auftreten des Schlagers. Sprachmoden verbreiten sich schlagartig übers Radio ohne die Erfahrung mit den entsprechenden Gegenständen. Es spielt sich geradezu eine Magie des Unverständlichen in der Sprache ab. Sogar die intimsten Regungen der Menschen sind ihnen verdinglicht, in dem sie versuchen ihr Innenleben mit Hilfe verbrämter Tiefenpsychologie zu einem erfolgreichen Apparat zu machen.

Dieses ist ein Exzerpt des Kapitels Kulturindustrie mit seinen Thesen. Dies muss zwangsläufig eine Reduktion von Horkheimers und Adornos Darstellung der Veränderungen an den Erscheinungen und Begrifflichkeiten unterm Kapital sein. Um mir den Text anzueignen musste ich die Vieldeutigkeiten der Metaphern vereindeutigen. Eckige Klammern kennzeichnen meine Assoziationen zum Text.

 
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